Der Blick nach unten
Städtische Straßenfluchten
Horizont weit weg
Der Blick nach unten
Städtische Straßenfluchten
Horizont weit weg
Geschnatter im Kopf
Virtueller Gänseschar
Hälse durchschneiden
Ganz im Hier und Jetzt
Nicht sitzen bleiben können
Eins mit dem Klavier
[Keith Jarrett – Solar (Live in Japan 1987) von Miles Davis]
Die Vase im Schrank
Die Tulpen im Biomüll
Du in meinem Kopf
Einatmen bis fünf,
nun ausatmen bis sieben,
dann halten bis fünf
Siebziger Jahre,
die Tanzfläche rappelvoll,
der Refrain endlos.
[Donna Summer – Love to Love You Baby]
Die Dünnhäutigkeit
des Schlaflosen kann man auch
als Geschenk ansehn
Einpeitscher skandiert:
„russia is a terrorist
state“. Bin mittendrin.
Und jetzt ne Zichte
Alle Probleme lösen
Dafür ein Neues
Ins Loch reinfallen
Auf dem Kriegsschlachtfeld fallen
In den Schlaf fallen
Endlich mal wieder
vom Wecker geweckt werden
Noch träumen dürfen
Vor einigen Jahren
kam mir mittags
ein weißhaariger Mann
auf einem Fahrrad
die Taubenstraße
zwischen Hausvogteiplatz
und Gendarmenmarkt entgegen.
Es war Rainald Goetz.
Er hat mich nicht erkannt.
Nachtisch Ananas
reißt tiefes Loch in den Bauch
Jetzt noch was Stollen
Aus heitrem Himmel
Kribbeln in den Fußsohlen
Der Weg spricht zu mir
Morgens Mann erschreckt,
der zuvor fast im Fahrstuhl
hängen geblieben
Ein Dreijähriger
Unbändige Neugierde
„Muni, was steht da?“
Die Viertelstunde
nach dem Weckerklingeln
Tiefenentspannung
Töne, aufgereiht
wie Perlen auf der Kette,
im Lichtbad schimmernd
[Cimarosa – Sonate No. 42 in d-moll (Arr. Vikingur Ólafsson)]
Am frühen Abend
im Schaukelstuhl wegdösen,
die Nacht wach liegen.
Während der Film läuft
durch den Tiergarten spaziert
Mit Zeit auf Kriegsfuß
Im Bett rumliegen
um fünf, unausgeschlafen
den Atem zählen
Libanon, früher
die Schweiz des Nahen Ostens,
heute ein failed state
[Mickey 3D – Mon pays est tombé]
Lippen aufgespritzt,
Nase korrigiert, gebräunt
Blick abgewendet
Kurz nach der Wende
In Thüringen auf dem Land
Und es bleibt geheim…
[Emily Atef – Irgendwann werden wir uns alles erzählen, 7/10]
Ein Hustenanfall
mitten im Film und exit
„Sie war grad noch da.“
Wogende Körper
Warten bis es zu spät ist
Wagner auf dem Klo
[Patric Chiha – La Bête dans la jungle, 3/10]
Sennenhündin jagt
vier Rehe auf der Wiese
Bewegung tut gut
Vom Stock abgelenkt
Hündin sucht da nach dem Ball,
wo er nicht mehr ist.
Vor fünf aufwachen
Neunzig Minuten dösen
Auf Wecker warten
Abgelenkt vom Stock
Ich schnapp mir den Ball, geh vor
Sie sucht vergeblich
Sie gibt mir den Ball
immer nur, wenn sie Lust hat,
nie wenn ich ihn will.
Vielleicht ist der Tod
das Schönste, was wir jemals
erleben werden.
Die Scheiben vereist
Unter den Füßen knistert’s
Der Nebel wabert
Kolkraben fliegen
über der Hündin und mir
morgens hin und her
Neunzig Minuten
Carmina Burana und
Ride Like the Wind hör’n
HR4 dudelt.
Die Grundsteuererklärung
des Nachbarn mach ich.
Streuobstwiesentrab
Weiter Blick ohne Brille
Schmatzende Füße
Dreikäsehoch, der
Kimba ganz knapp überragt,
streichelt sie innig.
Ungeplanter Halt
an dem Bahnhof Gelnhausen
Tiere auf dem Gleis
Ein trötender Chor
Die Kraniche ziehen flugs
zurück nach Norden
Antidot gegen
Griesgrämigkeit, Winterblues,
Schlafmangeldepri
[Haim – If I Could Change Your Mind]
Temperatur sinkt
nach Öffnen der Balkontür
innen und außen
Ein Kunstwerk aus Kitsch
Bossanova-Luftigkeit
Ein reifer Jahrgang
[Dionne Warwick – Walk on by (Burt Bacharach/Hal David)]
Schlafmangel macht wach
Der Landwehrkanal friert zu
Bacharach ist tot
Einsame Straßen
Nachts durch die Stadt flanieren
Die Stadt liegt am Meer
Morgendlicher Gruß
des Nachbars Sennenhündin:
ein langes Gähnen.
Die Learnings heute:
FuckUp Slam, unser Pate,
mehr Innehalten
Where a man dives deep
into the essence of things
Follow him, will you?
[Van Morrison – Rave on John Donne]
alternativ:
Niemals aufhören
darf dieses Lied und wenn doch, dann
drücke auf Repeat
Griff ins Lexikon
Seite mit gesuchtem Wort
direkt aufschlagen
Alte Frau mit Rad
Am Nasenflügel hängend:
ein Wassertropfen
Zu Fuß in der Stadt
Haikuzeilen eintippen
in Ampelpausen
Der Stein rollt hinab,
kommt tief unten zum Stillstand.
Der Berg wächst und wächst.
Aus dem Paradies
morgens um viertel nach vier
vertrieben werden
Zärtlicher Anschlag
Töne hallen nach und vor
Der Raum öffnet sich
Ende des Weltkriegs
Schon alles erlebt haben
mit dreizehn Jahren
Samtene Stimme
Schwebende Akkordfolge
Steigende Spannung
[Nadine Khouri – Vertigo]
Der kleine Cocker
mit der jungen Frau vor mir
guckt sich dauernd um.
Heute letzter Tag
mit Mund-Nasen-Schutzmaske
Wird sie mir fehlen?