Wintersonne pur Durch die Außenbezirke Westerbachplätschern
Heute erwartet mich die letzte Etappe durch Frankfurt nach Hause, wobei ich die nördlichen Stadtteile durchquere. Draußen herrscht herrlichster Sonnenschein bei klirrender Kälte, ohne Handschuhe geht es heute nicht.
Da es keine Jakobswegroute gibt, benutze ich Maps, dessen Zickzack ich blind wie ein Roboter folge. Um Akku zu sparen, merke ich mir die nächste Abzweigung und gucke erst wieder aufs Handy bei der nächsten Seitenstraße danach. Das funktioniert ganz gut.
Zuerst geht es durch das Gewerbe-/Industriegebiet in Enkheim an einer Grünanlage entlang leicht ansteigend nach Alt-Seckbach, wo es noch einzelne Fachwerkhäuser gibt und ich aus einem Bücherschrank das schmale Büchlein Meine wunderbaren Jahre von Reiner Kunze ziehe, das 1976 in kurzen Texten von Diktaturerfahrungen in der DDR berichtet. Sicherlich eine lohnenswerte Lektüre für die Schar der Ewiggestrigen, die gerade immer größer wird.
Frankfurt-Seckbach
Es geht nun weiter hoch durch ein Wäldchen hinter dem der Huthpark – ein kurz vor dem 1. Weltkrieg angelegter Stadtpark – liegt.
Frankfurt-Seckbach, Huthpark
Zwei lange Fußgängerbrücken führen über die Friedberger Landstraße und die A671 (Oberursel – Egelsbach 40 km). Von der zweiten Brücke habe ich eine gute Sicht auf die Bankenskyline zwischen EZB-Gebäude ganz links – leider nicht auf dem Foto – und Fernsehturm ganz rechts in Verlängerung der Brücke – leider auch nicht auf dem Foto – neben dem die Zentrale der Bundesbank liegt. Das private Finanzgeschäft wird eingerahmt von den beiden Zentralbanken, die für den Treibstoff des Systems, die nötige Geldversorgung sorgen.
Frankfurt-Seckbach, Skyline
Ich gehe nun auf dem Marbachweg in Richtung des Fernsehturms an einem Friedhof vorbei gen Dornbusch. An einer Bushaltestelle mache ich eine Trinkpause, die ersten 6 km sind geschafft. Mehrere Rettungswagen mit Blaulicht und durchdringendem Martinshorn rasen vorbei.
Frankfurt-Eckenheim
Ich passiere nun eine weitere Grünanlage, in der mir zwei junge Pärchen auffallen, die auf Bänken in der Sonne sitzen: sie jeweils auf seinem Schoß. Űber die Hügelstraße geht es am alten Friedhof vorbei nach Ginnheim. Von hier unter der Bahn und der Rosa-Luxemburg-Straße durch erreiche ich die Nidda, der ich eine Weile durch den Niddapark folge.
Da wo die Nidda nach Süden abbiegt, überquere ich sie nach Praunheim, wo Sitzbänke Fehlanzeige sind, es sind Steine in einem Kreisverkehr aufgeschichtet, es steht auch eine Tafel da, aber keine Bank weit und breit. Rastende Vagabunden wie ich sind offensichtlich unerwünscht. Ich komme an einer größeren Krankenhausanlage vorbei.
Nun geht es gen A5. Ich werfe einen Blick zurück zur Skyline, die ich nördlich des TV-Turms umrundet habe. In einem Sandhaufen stochern zwei Kanadagänse. Jetzt geht es unter der A5 durch. Drei Elstern flüchten vor mir ins Gebüsch.
Ein Blick nach Westen macht mir klar, dass der Berg links neben dem Großen Feldberg, den ich gestern morgen gesehen hatte, wie insgeheim gehofft doch tatsächlich der Altkönig war, der Kronberger – und damit fast unser – Hausberg.
Nun geht es einen bis zum Horizont schnurgeraden Wirtschaftsweg nach Süden, 200 m vor mir über eine längere Strecke eine junge Frau mit Kinderwagen. Plötzlich eine Bank! Ich trinke meine Säfte auf. Der Wind ist eisig kalt. Über Eschborn komme ich zum Westerbach, folge ihm am Komplex der Heinrich-Kleist-Schule vorbei, lausche dem Rauschen des Baches und bin kurz vor halb drei zuhause.
Dort lege ich mich erst einmal für eine halbe Stunde zur Siesta aufs Sofa bevor ich heißes Wasser in die Badewanne einlasse und mich die nächsten zwei Stunden der Lektüre des gestern in Enkheim gefundenen Spiegel widme.
P. S. Die Waage am nächsten Morgen nach elf Tagen Fasten zeigt 88 kg an, ein Gewichtsverlust von rund 9 kg. Davon ist allerdings einiges Flüssigkeit und den momentan nicht vorhandenen Darminhalt sollte man auch einrechnen. Aber es waren dann doch gut 600 g netto, die ich pro Tag bei der Fastenwanderung verloren habe. Ich bin zufrieden mit dem Ergebnis. Der erste Apfel kann geviertelt werden.
Hier ist der Überblick über meine Wanderung auf dem Jakobsweg von Vacha nach Niederhöchstadt im Februar 2025.
Tee auf Reiterhof Zwischen Spessart und Taunus Skyline vor Sonne
Ich schlafe diese Nacht phantastisch, genieße das Doppelbett mit der großen Decke. Morgens reibe ich mir den Sand aus den Augen, liege tiefenentspannt auf dem Rücken, mit körpereigenem Melatonin vollgepumpt. Erst um 6h20 mache ich das Licht an zum Schreiben, ein Rekord.
Da ich viel Zeit habe heute morgen – ich treffe meine Kusine im Nachbarort erst kurz vor elf – leiste ich mir eine Darmreinigung in Form eines Einlaufs. Danach fühle ich mich entspannter und bin de facto nochmal leichter.
Im Bad kommt mir eine einfache, aber gute Idee. Die Flaschen fülle ich ab sofort mit heißem Wasser. Was den Vorteil hat, dass es draußen in der Kälte nicht so schnell eisig wird, also gut trinkbar bleibt. Meine Güte, auf die einfachsten Dinge kommt man oft so spät.
Im Hotel kocht mir die Fachkraft zwei grüne Tee und ich versuche, die verschiedenen Obstsorten aus dem Multivitaminsaft rauszuschmecken. Ananas ist ganz weit vorne, Pfirsich auch klar, Passionsfrucht eher im Hintergrund etc.
Draußen ist es mit – 4 Grad knackig kalt und der Weg führt mich zwischen den Feldern entlang. Nach kurzer Zeit sehe ich das Ziel der Wanderung – zumindest von der Richtung her – den großen Feldberg mit dem Funkturm. Ich mag es, zu wissen, wo es hingeht und konkret zu sehen, wie weit es etwa ist bzw. scheint. Das Ziel vor Augen zu haben. Ein ganzes Stück links südwestlich vom Großen Feldberg ist ein anderer Berg, der fast genauso hoch erscheint. Er scheint mir optisch zu weit vom Großen weg zu sein, als dass es der Kleine sein könnte, der ja nicht einmal 1 km vom Großen weg ist, aber welcher Berg soll das sonst sein?
Hinter Ravolzhausen, Taunusblick
Auf einem flachen, schnurgeraden, neu asphaltierten Weg treffe ich einge Sonntagsmorgenspaziergänger, die alle nett grüßen.
Ich laufe nun in Oberissigheim bei meiner Kusine A. ein, die gerade noch Reitunterricht gibt. Selbst bei dieser Kälte sind Ferienkinder da. Es ist Springerwochenende, im Sinne von Reitspringen. Der Laden läuft. M., die gute Seele des Hauses, nimmt mich in Empfang und setzt mir einen grünen Tee auf. A. kommt wenig später und wir tauschen uns ein gutes Stündchen über meine Wanderung, den Hof und die Familie aus. Der Hof hat sich wirklich äußerlich seit den frühen Siebzigern, wo ich einmal als Ferienkind im Sommer für mehrere Wochen hier war, kaum verändert. C., Urgestein und früher die Reitlehrerin, stößt auch noch zu uns. Wir freuen uns alle schon auf das demnächst bevorstehende Familienfest.
Nach dieser willkommenen Abwechslung geht es weiter zwischen Äckern entlang, in der Ferne sehe ich erst das neue, etwas separat stehende, auffällige EZB-Hauptgebäude und danach die Bankenskyline rechts davon. Ich erreiche nun Bruchköbel, das wie viele Ort hier im Kern von Fachwerkhäusern dominiert wird. Die Jakobuskirche soll zwar eine offene Kirche sein, ist aber leider zu und das Schokolädchen gegenüber, wo der Schlüssel liegt, heute am Sonntag auch geschlossen.
Bruchköbel, altes Rathaus und Jakobuskirche
Aus Bruchköbel raus geht es mal wieder unter der A66 durch, aber das ist eigentlich das einzige kurze Stück der heutigen Etappe, das nicht naturnah bzw. unwirtlich ist. Das war auf den zwei vorangehenden Etappen anders gewesen.
In dem nächsten Ort Mittelbuchen gibt es einen mittelalterlichen Rundturm und ein historisches Stadttor mit einem Fachwerkhäuschen obendrauf.
Mittelbuchen, Turm und Stadttor
Weiter gehe ich auf einem Fuß-/Radweg nach Wachenbuchen, wo ich auf einer Bank meine Mittagspause mit Rote Bete Saft, der mir jetzt nach Pellkartoffeln zu schmecken scheint und KiBa, wie A. sagt, mache.
in Wachenbuchen ist der Kirchraum zwar zu, aber zumindest der Vorraum geöffnet, sodass man sich bei Regen unterstellen könnte. Ich mag die Zwischenstationen in den Kirchen, die mich als unsteten Wanderer zur Ruhe kommen lassen und meiner Seele gut tun. Es gibt auch oft etwas zu Entdecken.
Wachenbuchen, Fachwerk
Zwischen Äckern geht es nun hinauf zum Hühnerberg mit Sicht zum Spessart und dem Kraftwerk Großkrotzenburg. Oben ist eine rote Bank – die Leseecke – wo ich mich niederlasse. Ich bin nun auf der Hohen Straße, dem Handelsweg zwischen Leipzig und Frankfurt. Dies ist insbes. am Sonntag eine beliebte Radstrecke. Die Rennradler flitzen an mir im Minutenabstand vorbei.
Hohe Straße, Leseecke
Die Hohe Straße ist hier eine Art Kammweg, man kann gleichzeitig links den Spessart und rechts den Taunus erblicken. Es kommt nun die Sonne raus, das Wetter ist ähnlich gut wie am ersten Wandertag auf der Etappe von Vacha nach Geisa.
Ich erreiche die Hohe Lohe, wo recht sinnbefreit und mit Amtsdeutsch verbrämt zwei Stelenreihen aus Beton hingepflanzt worden sind.
Hohe Lohe, „Verknüpfung mit Regionalparkrouten im Vordertaunus und Mainuferweg“
Der Weg zieht sich nun ein wenig und ich komme in Bergen an, wo ich ein Stück auf einem höhergelegenen Pfad hinter Buschwerk, das die Sicht nach Frankfurt verschleiert, gehe. Hier mache ich einen winzigen Abstecher zum unspektakulären Stadtschreiberhaus, wo die Rollos runter sind. Der bzw. die aktuell hier residierende Literat(in) scheint gerade nicht da zu sein.
Bergen, StadtschreiberhausBergen, Liste der Stadtschreiber
Auch in Bergen ist die ev. Kirche verrammelt, aber zumindest liegt sie schön in der Abendsonne hinter der Stadtmauer.
Bergen, ev. Kirche
Von Bergen, das sich von Enkheim, dem zweiten Ortsteil von Bergen-Enkheim dadurch auszeichnet, dass es ein gutes Stück höher liegt, hat man eine schöne Aussicht – so heißt auch ein Lokal – auf die City.
Bergen, Frankfurter Skyline
Mein Hotel ist im Gewerbegebiet von Enkheim, zu dem ich auf schmalen Pfaden hinabsteige. Die vorletzte Etappe ist geschafft. Ich lasse mich auf die Couch in meinem komfortablen Einzelzimmer fallen.
Hier ist der Überblick über meine Wanderung auf dem Jakobsweg von Vacha nach Niederhöchstadt im Februar 2025.
Salziges Wasser Zickzack um die Autobahn Demo auf Marktplatz
Heute steht die mit knapp 30 km längste Etappe auf dem Programm. Was ich noch nicht weiß, es wird auch die bis jetzt Ödeste insbesondere in der 2. Hälfte, wo es lange Strecken an der A66 langgeht, um sie herummäandert, also auch noch länger ist als die Autobahn.
Ich komme morgens nur langsam in die Pötte, schreibe lange am Tagebuch, spüre aufgrund der Fettverbrennung in der Dusche eine gewisse Kurzatmigkeit. Es gibt vor der Zimmertür neben dem Kühlschrank mit freien Getränken, zu denen man einen Obolus leisten kann, einen Wasserkocher. Ich gieße mir zwei Pötte grünen Tee auf, der peu à peu meine Lebensgeister weckt.
Gegen 8h20 verabschiede ich mich von meiner Gastgeberin und trete hinaus. Jeden Tag verliere ich ca. 1 Pfund, entsprechend leichter fühle ich mich.
Steinau an der Straße
Ich mache mir Gedanken über die Zeit nach dem Fasten, es ist ja bekannt, dass jeder fasten kann, aber nur wenige fasten brechen können. Ich visiere nach dem Ausgleichstag langfristig ein 14:10 Intervallfasten an, d. h. 14 Stunden am Tag fasten und 10 Stunden, in denen ich essen darf. Dabei wird sich das Fasten vom späten Nachmittag bzw. Abend bis zum Vormittag hinziehen. Es werden wohl zwei leicht verschiedene Regimes, je nachdem, ob ich im Home Office oder in Berlin bin.
Aus dem Ort heraus gehend, komme ich schnell zur Kinzig, der ich flussabwärts folge. Ich komme auf den Radweg nach Bad Soden. Er geht schnurgeradeaus und ist asphaltiert, ist also nicht sehr schön zu gehen, aber ich komme flott vorwärts. Hier fängt es an, ein bisschen zu hageln. Rechts neben mir sehe ich seltsam verlaufende und versickernde Wasserläufe, es handelt sich um den Anfang der Kinzigtalsperre. Nach einer Weile sehe ich eine lustige Holzkapsel vor mir, in die man hineinsteigen kann. Drinnen gibt es ein Fernglas, mit dem man die verschiedenen Entenarten beobachten kann. Leider ist diese Station fehlkonstruiert. Die Bank ist zu weit vom Fernglas entfernt, so dass man nicht gleichzeitig sitzen und gucken kann. Ich muss mich fast hinhocken, um das schwere Fernglas in eine Position zu bekommen, so dass ich die Enten sehe. Da wurden mal wieder öffentliche Gelder nicht optimal eingesetzt.
Kinzigtalsperre, VogelbeobachtungskapselKinzigtalsperre, Vogelbeobachtungskapsel innen
Auf dem Radweg tippele ich über eine Stunde lang und treffe zwei Spaziergänger bevor ich die Kinzig überschreite und die Kinzigbahnstrecke sowie die A66 das 1. Mal unterquere. Ich bin jetzt in Bad Soden und komme direkt am Pavillon der Pacificus-Quelle raus. Diese Quelle ist mit über 8 g H2CO3 auf den Liter angeblich die kohlensäurehaltigste Quelle Deutschlands. Was mich allerdings noch mehr verblüfft, das Wasser enthält 44 g Salz auf den Liter, also 4,4%. Zum Vergleich in der Nordsee beträgt der Salzgehalt 3,5%. Mit anderen Worten dieses „Heilwasser“ ist in seiner Ursprungsform untrinkbar. Aber zum Baden sicher wunderbar.
Bad Soden-Salmünster, Pacificus-Pavillon
Von hier geht es den Heilquellenweg den Stolzenberg hoch über einen Kreuzweg – ein ehemaliger Friedhof – zur geschlossenen Laurentiuskirche. Unten gehe ich in eine Bäckerei mit angeschlossenem Cafe und trinke einen grünen Tee sowie eine Cola ohne Zucker. Beim Lesen der Nachrichten verschlägt es mir die Sprache. Die USA agieren wie Cowboys im Wilden Westen und lassen Europa fallen wie eine heiße Kartoffel, das Regime macht Ernst und versucht nebenbei noch die eigene schwer angeschlagene Demokratie zu exportieren. Als hohle Worte von Wichtigtuern kann man das jetzt kaum noch abtun. Ich denke jetzt hilft nur eins und zwar ein einiges, starkes, kühl und besonnen agierendes Europa, das ich aber leider momentan nicht sehe. Ungewisse Zeiten stehen uns bevor.
Now for something else. Ich gehe an der Salz (!) entlang raus aus Bad Soden, verpasse in Gedanken einen Abzweig nach Salmünster und gehe dann einen Forstweg hoch zu einem sich drehenden (!) Windrad hin. Nun geht es hinunter und was sehe ich links von mir? Ein Schaf, das für mich auf den 1. Blick aussieht wie ein Rhönschaf. Auf den 2. dann doch nicht, es hat schwarze Beine.
Neudorf, doch kein Rhönschaf
Ich erreiche nun Wächtersbach, dass ich einmal komplett durchquere. In der 2. Hälfte liegt die Altstadt mit Schloss und Fachwerkhäusern. Die evangelische Kirche ist zu.
Wächtersbach, SchlossWächtersbach
Hinaus geht es über Ausfallstraßen und ein Gewerbegebiet, das Muster wiederholt sich. Ich bin trotzdem bester Dinge, quietschfidel, die Füße fliegen nur so dahin. Ich laufe nun rechts der Autobahn, deren Rauschen mich nicht stört, ich höre ein hochinteressantes Interview mit der Schriftstellerin Rachel Cusk und ihrem Mann. Rechts von mir ist eine überschwemmte Wiese, auf der ich plötzlich zwei dahinstaksende Störche entdecke. Dem Vorderen bin ich schon zu nah und er entschwebt bald nach weiter hinten.
Westlich von Wächtersbach, Störche
Ein lohnenswerter Abstecher von der A66-Parallelstrecke ist Wichtheim. Die von Katholiken und Protestanten gemeinsam genutzte Simultankirche ist auf und ich erfreue mich an den lichtdurchlässigen Kirchenfenstern mit roten Einsprengseln. Außerdem hat Wichtheim noch ein Schlösschen zu bieten, das ähnlich aussieht wie das in Wächtersbach, nur viel kleiner ist.
Wichtheim, Kirchenfenster
Nachdem es noch ein Stück eingezwängt zwischen Kinzigbahn und Autobahn weitergeht, komme ich nach Haitz und dann zu meinem Etappenziel dem schmucken Fachwerkort Gelnhausen. Am Markt wird mit Musik für Demokratie und Klimaschutz demonstriert, viele sind bei den frostigen Temperaturen allerdings nicht gekommen.
Gelnhausen, Markt
Mein Hotel, in dem es sehr nach griechischer Küche duftet, liegt direkt neben dem Geburtshaus von Philipp Reis, dem zentralen Wegbereiter des Telefons, ohne den ich diesen Eintrag nicht hätte ins Handy tippen können. Danke nachträglich.
Gelnhausen, Geburtshaus von Philipp Reis
Hier ist der Überblick über meine Wanderung auf dem Jakobsweg von Vacha nach Niederhöchstadt im Februar 2025.
Dicke Schneeflocken Rehespringen wie Flummis Märchenkinderzeit
Die Nacht ist wie meistens nur mittelprächtig, ich wache früh gegen 4 auf, liege ein Stündchen wach und schreibe dann mein Tagebuch ins Smartphone. Beim „Frühstück“ zwinge ich mich, ein Liter Wasser vorweg zu trinken. Trotzdem habe ich später auf der Strecke bald eine trockene Kehle und lasse kaum Wasser. Erst nach der Ankunft, nachdem ich mich ins Bett gelegt habe, muss ich dann ca. alle 20 Minuten. Während der Wanderung wird das Wasser anscheinend im System zur Spülung gebraucht, danach kann es ausgeschieden werden. Ich schwitze so gut wie nicht.
Draußen erwarten mich die ersten Schneeflocken, die Temperaturen um null Grad, der Weg glatt. Es geht über einen Höhenzug, um Windräder herum, die stehen. Ich genieße die Morgenstimmung, bin erstmals schon um 8 los, fühle mich leicht. Die erste Stunde am Morgen ist immer die Beste, ich gehe wie in Trance, durch den Kopf läuft das Gedankenkarussell. Ich freue mich darüber, dass erstmal kaum Orte am Weg sind, ich ganz allein in der Natur sein darf. Ich komme durch ein verschlafenes Dorf, wo ich einige Gedanken notiere.
Keutzelbuch, Blick
Heute mittag ist Wanderhalbzeit, ich bin freudig überrascht, dass noch so viel vor mir liegt. Eine kleine Unachtsamkeit und ich bin vom Weg ab, auf den ich aber schnell wieder zurückkomme dank Wanderapp E-Walk. Ich stoße auf einen Rhön-Rundweg, hier scheint also doch noch ein Ausläufer der Rhön zu sein.
Ich höre in der Ferne das Rauschen der Autobahn, hoch über mir ein Flugzeug, Vogelgezwitscher. Als ich so den Berg hinaufstiefele, sehe ich vor mir auf der Wiese zwei Rehe, die mich erst nicht wahrnehmen. Plötzlich springt das eine in hohem Bogen bestimmt zwei Meter nach oben und dann auch nach vorne. Das andere tut es ihm gleich und folgt ihm. Welche Eleganz der Bewegung! Ich bin sprachlos.
Die Schneeflocken werden nun dicker und dichter und verfangen sich in meinem Schal, auf der Mütze tauen sie sofort. Ich habe den leicht zynischen Gedanken, dass ich gerade genau das Richtige tue, indem ich versuche, die letzten Winter zu genießen, bevor der Klimawandel so richtig zuschlägt.
Der Gedankenstarkregen setzt sich fort, die Ideen sprudeln nur so aus meinem Kopf. Was das Fasten angeht, so ist der menschliche Körper dafür gebaut. Als Jäger und Sammler haben wir ja auch über längere Zeiträume nichts gegessen, wurden von der Evolution dahin entwickelt, Energiereserven in uns anzulegen für die schlechten Zeiten. Mit anderen Worten, was ich da gerade mache, ist völlig normal und natürlich. Das permanente Essen ist nicht normal und die Ursache für viele Krankheiten. A propos, Buchinger, der das Heilfasten mit Säften und Brühen wiederentdeckt hat, hatte eine Entzündung des Knies, die er damit geheilt hat. Mein immer beim Aufstehen schmerzendes Knie tut nicht mehr ganz so weh, scheint mir.
Der Nebel oben am Waldrand wird immer dichter, löst sich unten dann wieder etwas auf. Ich unterquere die Bahnstrecke, wo zwei Güterzüge in kurzem Abstand passieren. Die Stimmung ist seltsam, kein Mensch weit und breit.
Vor Schlüchtern, Shaw-Zitat
Ich erreiche Schlüchtern, das an der deutschen Märchenstraße von Bremen nach Hanau liegt, über das Gewerbegebiet. Ein Lkw-Fahrer, der seinen Sattelschlepper am Straßenrand abgestellt hat, scheint mich zu mustern. Ein auffälliges Gebäude im Ort stellt sich als ehemalige Synagoge heraus, die später als Kulturzentrum genutzt wurde und nun als Stadtarchiv dienen soll.
Schlüchtern, ehemalige Synagoge
Im Ort trinke ich in einer Cafe/Bar einen marokkanischen Minztee und eine Cola zero. Ich komme mit dem Barmann ins Gespräch, da ich ihn nach der Sprache frage, die er mit zwei älteren Gästen spricht. Es ist albanisch, er ist aus dem Kosovo, die beiden anderen direkt aus Albanien. Er erzählt mir von der Vetternwirtschaft und Korruption dort. Angeblich sind die fünf besten Ärzte Albaniens alle im Krankenhaus in Schlüchtern, weil sie in Albanien nicht die richtige Connection hatten.
Ich gehe durch ein Wohngebiet, wo mir verführerischer Brathähnchengeruch in die Nase steigt. Ich kann den Geruch genießen, ohne das Hähnchen zu essen, ich würde sogar sagen nur durch die Nase genieße ich es wie die Blume beim Wein sogar intensiver. Wobei ich mich auch noch an der Aussicht erfreue, demnächst in Wilmersdorf bei Witwe Bolte mal wieder ein Knusperhähnchen zu essen. Gleichzeitig denke ich, dass das Fasten wie ein Reboot des Körpers ist.
Auf einem Schotterweg, der bald geteert werden wird – mir kommt auch schon ein Raupenfahrzeug entgegen – gehe ich an der Kinzig entlang und überquere sie bei Niederzell. Das Wasser steht ziemlich hoch für die erste Februarhälfte. Wenn die Schneeschmelze einsetzt, wird es sicher Hochwasser geben.
Niederzell, Kinzig
Bei der Pause auf einer Bank hinter Niederzell nehme ich wegen der Kälte nur kleine Schlücke Wasser. Ich stelle fest, dass mein Körper nicht viel Bock auf Salziges, also Gemüsesäfte oder Brühen hat, aber viel Lust auf süße Säfte und (zuckerfreie) Bonbons.
Ich komme nun an meinem Zielort, dem gut erhaltenen Steinau an der Straße (!) an, wo die Leute mich nett grüßen. Das großzügige Schloss aus der Frührenaissance ist sehr gut erhalten und stellt eine Kombination aus Wehranlage mit Bergfried und repräsentativem Schlossbau dar.
Steinau, Schloss
Ich gehe in die Ausstellung Arzt+Tod in der Katharinenkirche. Es wird ein großer Bogen gespannt vom 16. Jahrhundert und davor bis heute. Wie der Arzt dem Tod immer mehr auf die Schliche kommt im Laufe der Zeit – z. B. Röntgen – am Ende aber schlussendlich keine Chance hat. Im von mir ausgewählten Bild von 1968 schiebt der Tod sein Opfer auf der Bahre am nur zuguckenden Ärzteteam am Rande im Affentempo vorbei: „Der ist meiner!“
Steinau, Katharinenkirche, Ausstellung Arzt + Tod, Gertrude Degenhardt – Er Paul triumphierend am Ärzteteam vorbeischob
Während die Wärterin des Brüder-Grimm- Museums noch etwas erledigen muss, bewundere ich schon einmal den Originalstraßenbelag der Via Regia. Das stelle ich mir dann doch als eine holprige Angelegenheit vor für die Herrschaften in der Kutsche im 18./19. Jahrhundert.
Steinau, historische Via Regia
Im Museum verbringe ich einige Zeit. Hier verlebten die sechs Geschwister Grimm eine schöne Kindheit, ihr Vater war Amtmann, was einem heutigen Landrat etwa entsprach. Jacob und Wilhelm, die Ältesten waren in Hanau geboren. Nach dem relativ frühen Tod des Vaters ging es erst einmal ins Armenhaus, das Huttensche Hospital in der Nachbarschaft und später nach Kassel.
Die Räume im Erdgeschoss inkl. Küche widmen sich der Familiengeschichte, im 1. Stock kann man in die Märchenwelt eintauchen und die Märchen aufgrund von dargestellten Szenen erraten. Rotkäppchen hat einen eigenen Saal. In der alten französischen Fassung Le chaperon rouge von Perrault war Rotkäppchen am Ende noch vom Wolf verschlungen worden. Die Brüder Grimm, hier war wohl Wilhelm die treibende Kraft, haben dann ein Happy End ersonnen. Wie man überhaupt sagen muss, dass die Urversionen der Märchen oft sehr grausam waren, in einem Märchen wird sogar ein Kind geschlachtet. Die Brüder Grimm haben die oft sehr kruden und kurzen Märchen etwas aufgehübscht und besser lesbar gemacht. Man kann Stunden in der Ausstellung verbringen.
Ich schlafe heute im Burgmannenhaus, einem alten Fachwerkhaus von 1589 mit niedrigen Türen.
Steinau, Burgmannenhaus
Als Schlaftrunk gönne ich mir in meiner urigen Kemenate noch ein Pils.
Steinau, Burgmannenhaus, Zimmer
Hier ist der Überblick über meine Wanderung auf dem Jakobsweg von Vacha nach Niederhöchstadt im Februar 2025.
Auf Vézelay-Weg Vier parallele Strecken Am Schabbat tabu
Frühmorgens nach vier Uhr habe ich einen sehr lebhaften Traum, in dem ich erstmals etwas rieche und zwar das Parfüm einer Frau aus meiner Vergangenheit.
Das Wetter ist heute trüb. Nachdem ich die Postkarte eingesteckt und einen Fehlkauf getätigt habe – das einzige Fußblasenpflaster, das ich finde, stellt sich als Herpesbläschenpatch raus – geht es los.
Ich bleibe dabei, die metallische Kronenhaube, die die Fuldaer dem Schlossturm letztes Jahr aufgesetzt haben, steht ihm ganz gut.
Fulda, Schlossturm mit Krone
Auf der linken Seite des Doms sieht man Bonifatius mit dem erdolchten Buch, das er angeblich vor sich gehalten haben soll, als er von Räubern in den Niederlanden 754 ermordet wurde.
Fulda, Dom, Bonifatius
Im Dom fällt mir eine Petrusfigur mit erhobenem Zeige- und Mittelfinger auf, diese Handgeste hatte ich so ähnlich gerade erst in Point Alpha gesehen, so ganz habe ich sie noch nicht dechiffriert. Soll es „Hab acht“ bedeuten? Im Dom ist noch ein anderer Besucher, das nimmt etwas von dem überwätigenden Eindruck des barocken Baus.
Fulda, Dom
Außen oben an der Domfassade in einer unzugänglichen Ecke hat sich der Baumeister Dientzenhofer verewigt, sehr zur Missbilligung seines Auftraggebers, des Fürstabts.
Fulda, Dom, Detail
Nachdem ich den Ort durchschritten habe, erreiche ich die hochstehende Fulda. Es wird unmittelbar klar, warum die Stadt rund 1 km entfernt vom Fluss liegt. Ich überquere ihn auf einer Holzbrücke.
Fulda, Brücke
Es geht weiter durch einen Park, an einem Teich entlang. Der Weg ist allerdings gepflastert und nicht angenehm zu gehen für meine Füße. Heute ist fast die gesamte Strecke asphaltiert, ich entkomme der Zivilisation nicht. Auf Ausfallstraßen verlasse ich Fulda.
Vor Johannesberg – die Kirche wird heute zur Fortbildung in Denkmalpflege und Altbauerneuerung genutzt – steht eine Tafel mit einer Karte der beiden Jakobswege, die sich hier trennen. Der Installateur hatte aber offensichtlich eine Links-Rechts-Schwäche. Der Vézelay-Weg in rot, den ich nehme, geht nämlich nach rechts und der Le Puy-Weg (grün), den ich mit C. von Le Puy bis nach Santiago gewandert bin, geht ab nach links. Glück gehabt, dass ich mich nicht auf die Pfeile der Karte verlassen habe.
Johannesberg, JakobswegkarteJohannesberg
Bald hinter Johannesberg liegt rechter Hand eine in drei Jahren Arbeit von Freiwilligen erbaute Lourdesgrotte, wo ich ein Teelichtlein anzünde und kurz auf einer der vielen Bänke verschnaufe.
Harmerz, Lourdesgrotte
Ich erreiche nun einen Wald, wo sich der befestigte Forstweg schnurgerade hinzieht und ich in einen Flow komme. Ich hätte nichts dagegen, wenn das jetzt bis zum Ziel so weiterginge.
Am Ende des Waldes steht ein abgezäuntes Häuschen mit rauchendem Schornstein. Es ist niemand zu sehen. Was geht hier vor?
Oben auf der Kuppe mache ich mein Mittagspäuschen mit Gemüsesaft und Bananennektar, durch den leichten Niesel lasse ich mich nicht stören. Die Wiesen ligen im Dunst. Auf dem Acker rechts dampft ein Misthaufen, es joggt eine junge Frau mit einem Schäferhund vorbei, den sie an ihrem Gürtel angeleint hat.
Es geht nun weiter auf der mit Birken bestandenen Straße nach Neuhof, das ich auf der alten Heerstraße betrete. Natürlich wurde die Via Regia auch vom Militär genutzt, u. a. von Napoleon.
Aus der Rhön bin ich nun raus und bewege mich durch wellige Landschaft zwischen Spessart im Süden und Vogelsberg im Norden.
Diese Gegend, die früher Zonenrandgebiet war, liegt nun in der Mitte von Deutschland, entsprechend spielt der Verkehr eine immer größere Rolle. Ich gehe ein Stück, an dem vier Verkehrswege parallel verlaufen. Ganz links die A66 (Wiesbaden-Fulda) , die ich aufgrund des aufgeschütteten, bepflanzten Lärmschutzwalls kaum höre. Dann die vielbefahrene Bahnlinie Fulda – Frankfurt. Außerdem direkt links neben mir eine regionale Straße. Schlussendlich der Radweg, den ich nutze.
Nach einer Weile biege ich ab nach rechts in Richtung der Äcker und verlasse die Hauptverkehrstrasse. Schon von weitem sehe ich links von mir in ca. 100 m Entfernung einen gelben Davidsstern zwischen den Bäumen. Es handelt sich um den umzäunten, abgeschlossenen Jüdischen Friedhof Flieden, wo auch die Juden aus Neuhof beigesetzt werden. An Feiertagen wie dem Schabbat darf er nicht betreten werden. Der Schlüssel liegt bei der Gemeindeverwaltung. Es fällt mir auf, dass jüdische Friedhöfe in Deutschland häufig weit abseits der Städte angelegt sind, in Kronberg im Taunus liegt der jüdische Friedhof auch verborgen im Wald bei Falkenstein.
Auf Feldwegen geht es anschließend rauf und runter nach Flieden. Am Ende gehe ich unter der Bahn und der A66 durch in den Stadtteil Rückers.
Im Gasthof trinke ich ein alkohfreies Weißbier und quatsche mit dem Wirt, der erstaunlich gut durch die Coronazeit gekommen ist, u. a. weil er für verschiedene Institutionen gekocht hat. Ich begebe mich auf mein anfangs arschkaltes Zimmer. Die Blase hat sich deutlich zurückgebildet. Das Blasenpflaster klebt zwar etwas an der Socke, hat aber einigermaßen gehalten. Allerdings hat sich eine neue, noch kleine blutunterlaufene Blase am kleinen Zeh links gebildet. Ich habe das Pflasterhütchen, das abgegangen ist, jetzt mal durchstochen, so dass das Röhrchen jetzt etwas besser sitzt. To be watched.
Hier ist der Überblick über meine Wanderung auf dem Jakobsweg von Vacha nach Niederhöchstadt im Februar 2025.
In Tasten hauend Drei Touristen, ein Führer Fürstensaalkonzert
Heute mache ich eine Wanderpause im Home Office im Hotel. Ich schaffe das Pensum, was ich mir vorgenommen habe, verarbeite die Daten, schicke den Bericht raus.
Die Blase ist derweil noch größer geworden, das Blasenpflaster ist verschwunden, hat wohl die 85 Grad in der Sauna nicht so gut vertragen, ich mache ein Neues drauf.
Mittags gehe ich einkaufen, Kombucha, Brühwürfel, Gemüsesaft, Bananennektar. Letzeren kaue und schlürfe ich anschließend genussvoll. Später in der Konzertpause am Abend gibt es noch leckere Ingwer-Orange Bionade und kurz vorm Zubettgehen leere ich die 0,33 l Pilsflasche aus der Minibar, ein Geschenk des Hauses. Ich verspüre seltsamerweise keine Wirkung, aber schlafe gut ein gegen halb 12. Die Esssachen wie die Gummibärchentütchen, die Minibrezeln und den Schokoriegel gebe ich einem Bettler, der sich darüber sehr freut.
Von 15h bis 16h30 nehme ich an einer Stadtführung mit einem Paar aus dem süddeutschen Raum teil. Der Führer ist aus Fulda und hat viel zu erzählen. Wir beginnen an dem zum Teil schon abgegriffenen Stadtmodell aus Bronze vor der Stadtinformation auf dem Bonifatiusplatz. Der christliche Missionar Bonifatius, der eigentlich Wynfreth hieß, kam in der 1. Hälfte des 8. Jahrhundert aus Südengland und war der Auftraggeber des Fuldaer Doms, einer Basilika mit angeschlossenem Kloster, deren Errichtumg er nicht mehr erlebte. Heute steht an derselben Stelle eine 1712 fertiggestellte Barockkirche, in der er begraben ist.
In Fulda kamen weltliche und kirchliche Macht in Form der von Friedrich II. 1202 erhobenen Fürstabtei zusammen.
Es geht weiter zum Schloss, dem letztes Jahr eine metallene Krone für 600.000 Euro aufgesetzt wurde, was dem Führer nicht gefallen hat. Ich, der das Schloss nie anders gesehen hat, fand es überraschend progressiv und eher positiv. Das Schloss wurde in etwa gleichzeitig zum Dom ebenfalls von Dientzenhofer bis 1714 gebaut. Ein Detail, das mir vorher nicht klar war, die Prellsteine an den Ausfahrten waren dazu da, dass die Kutschen, wenn sie raumgreifend um die Ecke fuhren, nicht die Fassade beschädigten.
Fulda, Dom
Wir gehen hinüber durch den Schlossgarten zur Orangerie, die man im 18. Jahrhundert, als der französische Hof den Ton angab, natürlich unbedingt brauchte. Die Temperaturen waren nördlich der Alpen für Zitrusfrüchte viel zu niedrig, daher wurden sie in den Vorläufern der Gewächshäuser gehalten, der Ertrag war eher dürftig. Heute bei der Kälte ist hier niemand, aber im Hochsommer kühlt sich angeblich halb Fulda neben der dann zehn Meter hohen Springbrunnenfontäne ab.
Fulda, Orangerie
Die Stadtführung geht nun weiter zum Dom, wo sich Dientzenhofer weit oben mit seinem Konterfei verewigt hat, der Führer spricht fast nur von der alten Basilika, deren Türme übrigens angeblich aus Aberglauben nicht abgerissen wurden und sich in den Türmen der Barockkirche befinden.
Wir gehen weiter an einem schönen Fachwerkhaus vorbei, wo Ferdinand Braun geboren wurde, der Erfinder der Braunschen Röhre, ohne die wir heute nicht fernsehen würden. Anschließend passieren wir das Geburtshaus des Vaters unseres Führers. Er stellt sich eine Zeitmaschine vor, wie sein Vater vor dem Krieg hier rumgetollt ist.
An dem Bäckerhaus steht eine Jahreszahl 15×8. Statt dem x steht dort ein Zeichen, das wie ein auf dem Kopf stehender Fisch aussieht. Es ist eine halbe Acht, also eine Vier, die wohl als unglücksbringend galt. Wir gehen bis zur Stadtpfarrkirche, wo die unterhaltsame und interessante Führung endet.
Abends gehe ich ins Konzert im Fürstensaal des Schlosses. Es spielt die Freitagsakademie Bern auf Epocheninstrumenten Auszüge aus der Entführung des Serail und nach der Pause die sich etwas hinziehende Serenade Nr. 10 B-Dur, ebenfalls von Mozart. Es werden Oboe, Klarinette, Horn und Fagott vorgestellt, die schwieriger zu spielen sind, da sie meist keine Ventile oder Klappen haben. Die Horntöne werden nur mit dem Mund und der Hand, die man in den Schallbecher stopft, erzeugt. Die Leiterin erklärt jede Opernszene vorher, da der Gesangsteil ja fehlt. Die Musik ist eine schöne Abwechslung von der Wanderei, ist aber nicht so wirklich meine. Wiedererkennen tue ich natürlich die Arie des Osmin, Ha, wie will ich triumphieren. Den Altersdurchschnitt im fast vollbesetzten Saal senke ich, bin allerdings mit meinen Multifunktionsklamotten völlig underdressed. Aufgrund der vereinzelten standing ovations wird noch eine Zugabe gespielt, das Happy End der dann doch geglückten Entführung.
Fulda, Freitagsakademie Bern im Fürstensaal des Schlosses
Hier ist der Überblick über meine Wanderung auf dem Jakobsweg von Vacha nach Niederhöchstadt im Februar 2025.
Auf leichten Füßen durch zerschnittene Landschaft an Haune entlang
So langsam wird das Wandern zur Routine, ich mache kaum noch Bilder, es geht scheinbar schnell voran, die Füße fliegen zumindest am Vormittag. Von der immer größer werdenden Blase merke ich nichts.
Aber zuerst müssen heute morgen um zehn Uhr drei mal zwei Berlinaletickets für den Publikumssonntag, den 23.2., ergattert werden. Und zwar für Köln 75, Monk in Pieces und La cache. Ich klicke schnell genug, es klappt.
Um 10h15 schließe ich die Gasthoftür zweimal zu, werfe den Schlüsselbund in den Briefkasten und werde von der Tageshelle sofort geflasht, ich fühle mich leicht wie ein Vogel, was aber leider nicht bis zum Ende des Wandertages anhält.
Aus dem Ort raus überquere ich auf einer Steinbrücke die Haune, die mich einen großen Teil des Tages begleiten wird. Ein Bildstock stimmt mich ein auf meinen Zielort, das erzkatholische Fulda. Die Weintrauben unten auf der Säule lassen vermuten, dass man den schönen, überflüssigen Dingen des Lebens aber auch nicht abgeneigt ist.
Hinter Hünfeld, Bildstock
Es geht nun ein gutes Stück an der vielbefahrenen, mit Lärmschutzwänden versehenen B27, entlang. Ich komme in Rückers an, wo ich vor der offenen, schlichten Dorfkirche für „300 Seelen“ ein Päuschen auf einer Bank einlege. Auch hier ist der Fasching kurz davor, seinen Höhepunkt zu erreichen.
Rückers: Hier wohnt die Faschingsprinzessin
Im Ort überquere ich die B27 und unterquere eine weitere Verkehrsverbindung, die Bahntrasse Bebra – Fulda. Es herrscht reger Betrieb. Neben den ICEs, die gebremst unterwegs sind, fahren hier auch jede Menge Güterzüge. Nun geht es leicht bergan in einen Fichtenwald, den ersten auf der Wanderung. Der dunkle Wald hat etwas Beruhigendes, ich treffe niemand. Unter mir liegt ein See, der mir erst wie ein Bumerang geformt erscheint, aber sich dann doch länger erstreckt, es ist die Haunetalsperre, an der ich auf einer Bank mein Mittagsmahl bestehend aus Gemüse-, Kirschsaft und Wasser einnehme. Der See ist in der Mitte zugefroren, am Rand jedoch nicht, er taut gerade auf bei 3 Grad Außentemperatur. Es kommen zwei „Mütterchen“ vorbei, die eine slawische Sprache sprechen. Mir scheint, dass die in Deutschland lebenden Russen und Ukrainer die aktuelle Kälte genießen, weil sie sie an die Winter in ihrer Heimat erinnert. Es fällt jedenfalls auf, dass ich vielen slawisch sprechenden Spaziergängern begegne.
Im nächsten Ort, Steinau, treffe ich auf die ersten Schafe, es sind aber noch keine Rhönschafe, die ja einen schwarzen Kopf haben.
Steinau, Keine Rhönschafe
Am Wegesrand fasziniert mich ein im Wind wogendes Schilffeld, das wie ein Fremdkörper allein in der Landschaft dasteht.
Schilf
Die nächste Rast mache ich kurz vor der Unterquerung der A7 (mit knapp 1000 km die längste Autobahn Deutschlands, geht von der dänischen Grenze bis Füssen). Es ist heute schon auffällig, wie die Landschaft von Verkehrswegen zerschnitten ist, ich befinde mich ja selbst auf einem, der Handelsstraße Via Regia. Mein Camino verläuft heute übrigens wieder viel über asphaltierte Wirtschaftswege, damit bin ich der Natur schon ein stückweit enthoben.
Die angebliche 16 km Etappenstrecke – ich glaube es sind mehr – ziehen sich nun. Ich komme nach Petersberg, gut 2 km vor meinem Zielort. Hier geht es plötzlich links einen Kreuzweg mit dunklen Steinplatten, die die Stationen darstellen, steil den Berg rauf. Eine jüngere, durchtrainierte Sächsin überholt mich. Die Kirche St. Peter, die eine Landmarke darstellt, ist montags leider geschlossen. Die Benediktinerkirche ist von ca. 836, die heilige Lioba ist hier bestattet.
Die Sicht zur Hochrhön, die Wasserkuppe liegt 18 km Luftlinie südöstlich, ist heute getrübt. Man kann die einzelnen Bergkuppen höchstens erahnen.
Peterberg, Blick gen Hochrhön
Ich entdecke hier den 780 geborenen Gelehrten Rabanus Maurus, der am Hof Karls des Großen ausgebildet wurde, dem Kloster Fulda vorstand und später Erzbischof von Mainz war. Er hat viele Texte verfasst, u. a. Kreuzgedichte.
Weisheit von Rabanus MaurusPetersberg, St. Peter
Auf dem Pfaffenpfad geht es nun hinab nach Fulda, wo ich unweit des Schlossgartens mein Quartier – in der Rabanusstraße! – für die nächsten 2 Nächte finde. Ich werde hier einen Ruhetag in Form von Home Office einlegen. Nach zwei Saunagängen im Stadtbad bin ich rechtschaffen erschöpft und schlummere bald ein.
Hier ist der Überblick über meine Wanderung auf dem Jakobsweg von Vacha nach Niederhöchstadt im Februar 2025.
Sonne verbirgt sich Kreuzweg an alter Grenze Unter Haut gehend
Nach dem wunderschönen Sonnentag gestern ist heute ein klassischer trüber Februartag, am Morgen ist es mit – 5 Grad eiskalt, der Nebel löst sich nie ganz auf, die Sonne versteckt sich hinter den Wolken.
Da mein Gasthof etwas abseits des Jakobsweges liegt, gehe ich auf eigene Faust auf Feldwegen hinauf zum Point Alpha, einem ehemaligen US- Beobachtungsposten, der Stelle, wo die alte Bundesrepublik am schmalsten war und im Fulda gap auf den Thüringer Balkon traf.
Ich quäle mich etwas den Berg hoch, komme trotz der Kälte sogar leicht ins Schwitzen. Der Körper hat nun auf die Verbrennung vor allem von Bauchfett umgesattelt, aus dem er die für die Bewegung nötige Energie gewinnt. In der Leber werden hierzu Fettsäuremoleküle, auch Ketone genannt, gebildet. Diese Art der Energiegewinnung ist für den Körper deutlich aufwendiger als direkt extern durch die Nahrung zugeführte Kohlehydrate zu verbrennen. Daher bin ich schnell außer Atem und bewege mich nur langsam aufwärts.
Beim Aufstieg habe ich in der kargen Winterlandschaft zudem ein Gefühl der völligen Verlorenheit und Sinnlosigkeit. Die Frage, die sich gerade konkret stellt: Was mache ich hier? überträgt sich auf das ganze Leben: Was mache ich hier auf diesem Planeten? Die Antworten simpel und nahezu identisch. Mich von A nach B bewegen. Während die beiden Punkte auf der Wanderung mehr oder weniger klar sind, ist es beim Leben eher vage, insbesondere das Ziel. Aber es gibt eins, das scheint sicher. Cut.
Leider komme ich zu früh für die um 10 Uhr öffnende Dauerausstellung über den kalten Krieg und die ehemalige Zonengrenze, das Haus auf der Grenze liegt noch im Nebel, ich muss die beschlagenen Brillengläsern abnehmen, um überhaupt etwas zu sehen.
Point Alpha: Haus auf der Grenze
Trotzdem kann ich diverse Relikte aus der damaligen Zeit begutachten. Da wäre als erstes der runde Tisch, an dem die Gesprächsrunden zu Zeiten der friedlichen Revolution in der DDR 1989/90 stattfanden. Die Nachbildung wurde aus Betonteilen der ehemaligen Grenzbefestigungsanlagen hergestellt.
Point Alpha: Runder Tisch
Etwas weiter nördlich auf der zugefrorenen Wiese steht ein alter Grenzbaum, hier war Deutschland bis zum 22.12.89, 12 Uhr geteilt.
Point Alpha: Alter Grenzbaum
Eine Metallinstallation aus einem Soldaten, der den Kopf gesenkt hat und den Arm reicht und einem Mann mit Dornenkrone und Pilgerstab, der den Zeigefinger nach oben streckt, steht auf der anderen Straßenseite.
Point Alpha: Soldat und Pilger
Inn unmittelbarer Nähe beginnt der Weg der Hoffnung, ein Kreuzweg aus Metallskulpturen, der sich ca. 1,5 km auf dem Kolonnenweg an der ehmaligen Zonengrenze befindet.
Point Alpha: Weg der Hoffnung
Ich gehe den Kreuzweg ca. 1 km und nehme dann die Straße hinunter nach Rasdorf. Hier befinde ich mich nun in der hessischen Röhn. Bei der Eiseskälte steigt mir ein süßlicher Duft in die Nase, ich bilde mir ein, Himbeergeist zu riechen. Eventuell ist das der höheren Durchlässigkeit aufgrund des Fastens geschuldet.
In Rasdorf gehe ich über den Anger, den sich weit über hundert Meter erstreckenden größten Dorfplatz in Hessen, zur unspektakulären gotischen Stiftskirche aus dem 13. Jahrhundert. Es ist jetzt Sonntag 10h30, eine Messe findet allerdings nicht statt. Der Küster macht die Runde.
Hinter Rasdorf komme ich an einem Kneippbecken vorbei, dem meine Füße angesichts der Kälte noch so grade widerstehen können.
Am Ortsrand von Haselstein mache ich meine Mittagspause auf einer Bank mit Aussicht, eine nett grüßende junge Frau und ihr kleiner Sohn laufen mir dreimal über den Weg. Hier wird mir klar, dass ein Grund für meine permanente Dehydration die Kälte ist. Das Wasser ist eisig, man kann es wirklich nur in kleinsten Schlücken genießen.
Es geht nun leicht aufwärts auf schönen Naturpfaden, auf denen ich heute am Sonntag auch einige Spaziergänger treffe. Oben vom Plateau hat man normalerweise eine phantastische Aussicht auf sechs Vulkankuppen, das sogenannte hessische Kegelspiel, das man heute im Nebel allerdings nur erahnen kann.
Hessisches Kegelspiel im Nebel
Auf leeren Ausfallstraßen geht es nun hinab nach Hünfeld an einer größeren Anlage der Bundespolizei hinter Stacheldraht entlang. Mir kommen zwei kleine Männergruppen entgegen, die eine weiche, östliche Sprache sprechen. Als sie mich erblicken, verstummen sie sofort. Waren das nun Russen, die Angst vor dem Geheimdienst haben oder eventuell Ukrainer, die fahnenflüchtig sind oder keins von beiden?
Da es schon 14h30 ist und mein Gasthof von 14 – 17h30 geschlossen ist, verbringe ich die nächsten drei Stunden im Eiscafe. Dort trinke ich zwei grüne Tee – eventuell schon zu spät – und einen Minztee und höre den Ernährungspodcast zu Ende, der sich zum Schluss auch kurz dem Fasten widmet.
In Neukirchen in der Nähe von Hünfeld hat Konrad Zuse 1949 die Computerindustrie gegründet, er liegt auch in Hünfeld begraben. Nach ihm benannt wurden eine Schule und ein Hotel. Zudem gibt es ein Museum und ich komme an der Zuse-Box vorbei, wo man bei der Stadt beantragte Unterlagen rund um die Uhr abholen kann.
In der Dämmerung erreiche ich meinen Gasthof. Das Google TV kriegt der Bedienstete zwar nicht in Gang, aber ich bin schon froh, dass ich WLan habe. Nach zwei Telefonaten gucke ich mir das Kanzlerduell an, bei dem mir eine Seite doch einen deutlich besseren Eindruck macht. Ich gehöre immer noch zu den 40 20 Prozent, die unentschieden sind.
Beim Ausziehen der Socken muss ich leider feststellen, dass sich außen am großen Zeh des linken Fußes eine Blase gebildet hat. Da muss morgen ein großes Blasenpflaster drauf. Ob die neuen Schuhe doch noch nicht genügend eingelaufen waren? Richtig wohl habe ich mich die ersten zwei Tage in ihnen jedenfalls nicht gefühlt. Bei der Ankunft genieße ich jedoch immer den Ausbruch aus dem Fußgefängnis, denn die neuen sehr raumgreifenden Einlagen lassen den Füßen relativ wenig Platz.
In den Schlaf finde ich nur schlecht, der grüne Tee hat wohl doch eine längere Wirkung als gedacht.
Hünfeld: On parle français
Hier der Überblick über meine Wanderung auf dem Jakobsweg von Vacha nach Niederhöchstadt im Februar 2025.
Wartburg im Nebel Waldbedeckte Bergkuppen Gleißende Sonne
Nach dem Saftfrühstück bewege ich mich an der Stedtfelder Straße entlang bei Minustemperaturen Richtung Haltepunkt Opelwerk. In der Ferne im Nebel thront wie verwunschen die Wartburg über der Landschaft, eine wahre Landmarke. Außer mir ist hier niemand. Um 8h35 saust ein ICE an der Haltestelle vorbei und weht mich fast um. Die Regionalbahn hat daher 5 Minuten Verspätung.
Eisenach: Opelwerk vor Wartburg
Am Eisenacher Bahnhof hol ich mir erst einmal einen großen grünen Tee, ich bin jetzt schon dehydriert und kämpfe dann doch mit dem leeren Bauch, wahrscheinlich die Rache für den optimistischen leichtfertigen Eintrag gestern. Den tea to go schlürfe ich genüsslich im Regionalzug nach Bad Salzungen, der hier noch gut 20 Minuten rumsteht. Meine Lebensgeister sind nun wieder geweckt. In Bad Salzungen steige ich in den gut besetzten 100er Bus nach Vacha, der mich über Merkers – im Schaubergwerk war ich schon einmal vor Jahren mit meinem Vater – an den Ausgangsort meiner Wanderung bringt. Vacha war im August 2020 der Endpunkt der Wanderung mit C. auf dem ökumenischen Jakobsweg von Görlitz gewesen. Ich gehe jetzt weiter auf der Via Regia bzw. dem Jakobsweg gen „Heimat“. In Vacha halte ich mich nicht lange auf, es ist ja jetzt schon 10h20 und es liegen noch 25 km vor mir.
Vacha: Fachwerk
Die erste Jakobswegmarkierung ist schnell gefunden. Es geht nun durch die thüringische Rhön.
Vacha: Jakobswegmarkierung
Am Ortsausgang der Friedhof mit der Kapelle, die zum im Bauernkrieg geschleiften Servittenkloster gehörte. In dieses Kloster war Hermann Künig eingetreten, der Ende des 15. Jahrhunderts nach Santiago pilgerte und darüber einen der ersten Berichte verfasste.
Vacha: Friedhofskapelle
Der Weg nach Süden ist am Morgen zum Teil noch gefroren und der harte Boden knirscht bei jedem Schritt. Das wird sich im Laufe des Tages ändern. Die Sonne wird mehr und mehr das Regiment übernehmen und der Weg wird weicher und zum Teil matschig werden. Ich gehe heute anfangs viel auf Asphalt, meist kleine Wirtschaftsstraßen, später auf einem Radweg. Die Landschaft ist offen und man sieht die waldbedeckten Kuppen, die aus vulkanischer Tätigkeit resultieren; ich befinde mich in der Kuppenrhön.
Sünna: Pfarrhaus und Bilderkirche
In Sünna komme ich leider nicht in die barocke Bilderkirche. Auch im Pfarrhaus, vor dem ein großer, weißer Herrnhuterstern hängt, macht niemand auf.
Hinter Sünna öffnet sich ein schöner Blick zum Oechsenberg, dem nördlichsten Berg der Rhön, wo zu DDR-Zeiten Basalt abgebaut wurde, der Berg hat dadurch über 10 Meter an Höhe verloren. Vor der Wende war das hier Sperrgebiet, mit dem man aus der DDR nur mit Passierschein hineinkam.
Links: Oechsenberg
Es geht jetzt schnurgeradeaus auf einem Radweg, Radfahrer treffe ich nicht, Spaziergänger nur vereinzelt. Ein beschaulich daliegender Teich mit überdachten Bänken und Schilf am Ufer lädt zur Rast ein.
Speicher Mosa, Ulsterberg
Es wird nun Nachmittag und warm, ich binde die Regenjacke um den Bauch. Das Fortkommen wird beschwerlicher, je näher ich dem Ziel komme. Die neuen – allerdings eingelaufenen – Schuhe, die neuen Einlagen und die neuen Merinowollsocken sowie meine permanente Dehydration, die auch mit dem Fasten zusammenhängt, spielen hier sicher auch eine Rolle. Die Anstiege sind zwar nicht steil, aber ziehen sich, ich fange an, einen Podcast über Ernährung – passt gut zum Fasten 😉 – zu hören.
Im Wald, von dem es in der Rhön nicht so viel gibt, begrüßt mich eine kleine Jakobsstatue, darüber hängt die Wunschglocke, die ich natürlich anschlage, während ich mir etwas wünsche. Eine Mutter mit zwei Kindern tut es mir kurz danach gleich.
Bei Otzbach: Jakobus der ÄltereBei Otzbach: Wunschglocke
Vom Waldrand hat man einen wunderschönen Blick, den Inselsberg kann ich allerdings, wenn überhaupt nur erahnen.
Inselsberg-Milseburg-Blick
Oberhalb von Bremen/Thür. spanne ich auf einer Wohlfühlbank aus, das Leben kann so schön sein.
In Bremen hat die barocke, dem Jakob dem Älteren geweihte Kirche geöffnet, im rechten Seitenaltar ist die Heilige Barbara abgebildet, die Schutzpatronin der Bergleute.
Bremen (Thür.): Barbara
Die letzten Kilometer schaffe ich jetzt auch noch. In Geisa ist der Fasching im Gange, es gibt eine neue Prinzessin, zu deren Ehren mit Papierschleifen geschmückte Weihnachtsbäume am Straßenrand stehen, die am Ende zusammen auf einem Berg nahebei verbrannt werden.
Geisa: Prinzessinnenfasching
Ich komme nun zu meiner Unterkunft, wo ich die eiskalte Dusche – nach der Warmen – genieße, ein alkoholfreies Weißbier zu mir nehme und mir idiotischerweise die Bundesliga anschaue. Ich bin fix und fertig.
Geisa: Geiß mit Jeck
Hier der Überblick über meine Wanderung auf dem Jakobsweg von Vacha nach Niederhöchstadt im Februar 2025.
Der Bauch passt sich an Steil die Böschung hinunter Frieren in Sauna
Heute geht es endlich wieder los. Eine neue Wanderung wartet auf mich. Irgendjemand hat geschrieben, dass man eine wirkliche Wanderung alleine macht, jemand anderes, dass man sie im Winter macht. Das finde ich beides auch, noch intensiver wird sie für mich allerdings dadurch, dass man dabei nichts isst. Das entfernt mich aus dem Alltag, verstärkt die Sinneseindrücke, lässt mich zu mir kommen.
Nach dem Ausgleichstag am Donnerstag, an dem ich Obst, Joghurt und Suppen zu mir genommen habe, wird es nun ernst. Morgens nach dem grünen Tee erst einmal ein Einlauf, ein knapper Liter warmes Wasser rinnt langsam hinten rein, der Effekt lässt nicht lange auf sich warten: Der Darm entleert sich explosiv. Das Zeichen für den Körper, von der Verbrennung externer zugeführter kohlehydratreicher Nahrung auf die Reserven zurückzugreifen, die in ihm selbst schlummern. Immer wieder überraschend wie nahtlos das geht, Hunger verspüre ich kaum, höchstens eine gewisse Leere im Bauch, der sich der neuen Lage im wahrsten Sinne schnell anpasst: Der Magen zieht sich zusammen und schrumpft.
Ich habe heute noch einen Bürotag vor mir, den ich vor allem mit leicht stupiden, repetitiven Arbeiten an der Datenbank verbringe, um 15 Uhr geht es dann endlich hinaus, erst mit der U-Bahn zum Hauptbahnhof, dann wie vor einem Jahr, als ich meinen ersten Elisabethpfad ging, mit dem ICE nach Eisenach. Der Zug ist voll, die Reservierung zahlt sich aus. Die Mitreisenden untereinander ziemlich kommunikativ, ich höre Podcasts.
Es ist schon dunkel, als ich kurz nach 6 in Eisenach aussteige. Die gut 5 km zu meinem Hotel, demselben wie vor einem Jahr, das im Westen hinter dem Opelwerk in Stedtfeld liegt, gehe ich zu Fuß. Gegen Ende muss ich doch wieder ein Stück am Waldrand entlang, weil die Straße keinen Seitenstreifen hat. Die Stirnleuchte leistet mir hier gleich gute Dienste. Zum Schluss geht es ein kurzes Stück querfeldein über eine steile Böschung zur Straße. Es fehlt nicht viel und ich lege mich hin.
Im Hotel sitzen die Leute gemütlich im Restaurant, ich hole mir die Zimmerkarte, den Bademantel und die Wasserglasflasche, die aufs Haus geht, an der Rezeption ab und zahle gleich. Ein modernes, sauberes Doppelzimmer erwartet mich. Nachdem ich mich an dem Sprudel erfrischt habe, geht es in die kleine Sauna in der 3. Etage. Ich bin dieses Mal nicht alleine, eine Frau schwitzt schon fleißig, als ich es mir oben links bequem mache. Wir kommen erst nach einer Weile darauf, dass man bei dieser Sauna den Startknopf immer wieder drücken muss, da sie sonst ausgeht. Nach der ersten kalten Dusche friere ich doch tatsächlich leicht, als ich wieder zurück in die Sauna gehe. Nach erneutem Druck auf den Startknopf fängt der Ofen zu bollern an und das Wasser, das wir auf die Steine geschüttet haben, verdunstet endlich mit explosiven Knackgeräuschen. Wir kommen gut ins Schwitzen.
Danach begebe ich mich aufs Zimmer, nach der zeitversetzen Tagesschau, sehe ich mir in der Mediathek bereits das Literarische Quartett an, es geht auch um das neue Buch von Julia Schoch, das ich bereits gelesen habe. Jemand sagt, dass sie die ostdeutsche Knausgaard wäre, eine naheliegende Einschätzung. Ihn würde ich allerdings nie lesen, von Julia Schoch hingegen am liebsten alles. Ein Grund mag sein, dass sie im Vergleich recht wenig schreibt. Kurz nach zehn mache ich die Bettleuchte aus.
Laubwaldlichtspiele Ringelpiez beim Rathausfest Wilder Wiesenweg
Die forsche Hotelwirtin scheint vergessen zu haben, dass ich bereits vor über einem Monat Vorkasse geleistet habe, aber ich nicht! So toll war das Hotel auch nicht, dass ich freiwillig doppelt zahle. Bis jetzt habe ich auf dieser Wanderung noch nichts vergessen, heute merke ich relativ schnell, dass die Wandermütze fehlt und verliere nur 10 Minuten Zeit.
Über den lichten Laubwald des Schlossparks geht es raus aus Ilsenburg. Ich kann heute im Laufe des Tages die Schatten- und Lichtspiele der Laubbäume ausgiebig studieren. Da ich in Rübeland, dem Zielort der Harzreise – bekannt durch die Höhlen – keine Herberge gefunden habe, muss ich mich heute auf einem improvisierten Weg insbesondere auf den rund 15 km von Wernigerode bis Königshütte rumschlagen.
Im Wald verläuft die Wasserscheide zwischen Elbe und Weser, so weit östlich bin ich jetzt schon.
Zwischen Ilsenburg und Wernigerode
Heute bin ich etwas in Gedanken versunken, aber im Vollbesitz meiner Kräfte. An einer Stelle im Wald verpasse ich einen Abzweig und gehe doch tatsächlich gedankenverloren ca. 500 m bergauf in die falsche Richtung, bevor es mir schwant, dass es doch eigentlich gar nicht bergauf gehen kann.
Ich treffe heute auf einige Mountainbiker, es ist Samstag. Die erste Ortschaft ist nach rund 10 km Natur Hasserode, wo auch das Bier gebraut wird. Hier muss ich ca. 2 km in der Sonne an der Straße langgehen, bevor ich durch das Westerntor in die Altstadt von Wernigerode eintrete.
Wernigerode, Westerntor
In Wernigerode ist dieses Wochenende Rathausfest. Es herrscht großer Trubel, Menschenmassen bevölkern die langgezogene Fußgängerzone. Ich brauche jetzt unbedingt einen Eiskaffee, den ich am Rathaus bekomme. Dort spielt eine Hamburger Band deutschen Schlager mit Volksmusikeinschlag, ich frage mich, ob die Rentner, die vor der Bühne auf Klappstühlen sitzen, dafür und fürs Klatschen bezahlt werden. Die Musik ist unerträglich kitschig. Die drei Musiker – alle in Jeans und weißem Hemd – laufen mit Mikro singend und sich an den Schultern anfassend über den Markt. Sie versuchen, das Publikum zu animieren, indem sie vom Hamburger Nachtleben schwärmen und fragen, was denn so in Wernigerode nachts abgeht. Nach dem Motto Witz komm raus, du bist umzingelt. Ich flüchte so schnell wie möglich und besorge mir beim Griechen ein sehr knuspriges, getoastetes Fladenbrot mit warmem Feta, Tsatsiki und Krautsalat.
Wernigerode, Rathaus
Die Breite Straße hinauf steht das barocke Haus des Getreidehändlers Krumme aus dem Jahr 1674 – Wernigerode ist wie Goslar ein Fachwerkparadies – mit vorgesetzter Fassade aus Holzvertäfelungen.
Wernigerode, Krummelsches Haus
Kurz vor Verlassen der Altstadt sehe ich noch einen Liedermacher mit Klampfe, der allein auf einer großen Bühne sitzt, sich die Seele aus dem Körper singt, während zwei bis drei Leute sich das anhören; er hätte mehr Publikum verdient gehabt.
Ich nehme jetzt nicht wieder die schnurgerade Straße zurück nach Hasserode, sondern gehe auf dem Fußweg der B 244, die nach Elbingerode führt, aus der Stadt heraus. Oben im Gegenlicht das Schloss, ein Leitbau des norddeutschen Historismus auf Basis einer mittelaterlichen Anlage 1882-1885 von Otto zu Stolberg-Wernigerode, dem Stellvertreter Bismarcks, umgebaut.
Wernigerode, Schloss
Ich finde nun einen lauschigen Weg im Laubwald, der den Zillierbach entlang verläuft. Am Wegesrand Waldhimbeeren, die ich mir nicht entgehen lasse. Ihren intensiven Geschmack im Mund denke ich, dass genau diese Momente es sind, die dem Wandern noch einmal einen besonderen Kick geben. Man isst die Früchte der Natur, man vereint seinen Körper, seinen Geschmack, seine Verdauung mit der Welt. Es hat etwas Pantheistisches. Alles ist eins. Etwas pathetisch vielleicht, aber egal.
Am Wegrand ein Belüftungsschacht einer Grube, heute ein Fledermausreservat. Aus dem Schacht strömt angenehm kühle Luft, die meinen heiß gelaufenen Körper kühlt.
Belüftungsschacht
Plötzlich stehe ich vor dem Staudamm der Zillierbachtalsperre, hier kommen nur noch die Fassadenkletterer weiter, ich muss außen rum.
Zillierbachtalsperre, Staudamm
Auf einer Bank mache ich eine Trinkpause und gönne meinen Füßen eine kleine Auszeit. Die Schuhe und Socken auszuziehen, die Füße etwas zu massieren, welche Wohltat. Ein älteres holländisches Paar gesellt sich zu mir. Sie haben den Stausee halb umrundet, er entfernt noch rechtzeitig ein Steinchen aus seinem Schuh.
Zillierbachtalsperre
Den weiteren Weg nach Königshütte muss ich mir zusammenschustern. Die Generalrichtung ist Süden. Ich treffe auf einen bunten Schmetterling und bewege mich zum Teil auf Wiesenwegen, die insbesondere gegen Ende fast zugewachsen sind. Viele Wege sind in keinem guten Zustand, Markierungen fehlen weil Bäume umgestürzt bzw. abgestorben sind. Der Grund ist der fehlende Nachwuchs in den Wandervereinen.
Schönbär
Es geht großräumig um ein Kalkwerk herum. Ich kann in meiner kurzen Hose zum Teil hüfthohen Disteln und Brennnesseln einigermaßen ausweichen. Auf einer unverhofften Bank – ich muss mal ein Loblied auf Bänke am Wegesrand singen – brauche ich meine letzten Trinkwasservorräte auf. Ich komme nun zu dem Wasserfall von Königshütte, den ich aber nicht sehe. Der eigentliche Ort liegt noch etwas weiter südlich und ich erreiche rund neun Stunden nach Aufbruch mein Ziel, die sehr familiär geführte Pension Am Felsen, wo ich sofort herzlich mit Namen begrüßt werde und zu Abend eine vom Hausherren zubereitete, exzellente Rinderroulade mit Kartoffelstampf und Rotkohl zu mir nehmen darf.
Vorher sehr erfrischend nach dem langen Wandertag übrigens die kälteste kalte Dusche auf der ganzen, rundum gelungenen Wanderung. Ein perfekter Abschluss.
Brocken imRegen Wilde Ilse rauscht ins Tal Übers Ziel hinaus
Morgens komme ich wegen meiner steifen Beine kaum aus dem Bett, auch das Knie zwickt, die Bandage ein absolutes Muss. Es wird Zeit, dass die Wanderung zum Ziel kommt.
Beim Frühstück gibt es in Öl eingelegten Harzer Roller, dem außer mir ein junger, mundfauler Typ mit Bundeswehrpullover und eine Hessin zuspricht, die meint, „bei uns heißt das Handkäs mit Musik“.
Heute geht es erst einmal wieder hoch zur zweiten Gipfelbesteigung des Brocken, da ich ja im Brockenhotel kein Logis mehr gefunden hatte. Ich komme somit schon am frühen Morgen auf den großen Steinen, die sich wie die Hotelfachkraft bereits anmerkte, zum Aufstieg besser eignen, gut ins Schwitzen.
Nach einem erfrischenden alkoholfreien Weißbier auf dem Brocken, dieses Mal bin ich fast alleine, zieht sich der Himmel langsam zu, die Fernsicht ist sehr diesig. Goethe hat sich hier für die Walpurgisnacht im Faust inspirieren lassen.
Brockenhotel, HexeBrocken, Goethe was here
Das überteuerte Brockenhotel hat mich nicht als Gast gewonnen, wofür ich am Ende ganz froh bin.
Brockenhotel
Auf dem Plateau weht eine steife Brise. Am Gipfelstein machen die Leute von weit entfernt Gipfelfotos.
Ich gehe wieder den Brockenrundweg, dieses Mal in die andere Richtung und beginne, den Kolonnenweg abzusteigen. Nach wenigen Minuten fängt es an zu schütten. Trotz Regenjacke und -schirm wird zumindest die Hose unten klatschnass, aber ich habe Glück, dass genau hier eine Schutzhütte steht. Später kommt ein Einheimischer in kurzer Hose ohne Schirm vorbei, der jedoch sofort weiter absteigt nach Ilsenburg, weil er meint, dass das Wetter sowieso nicht besser wird. Ein Fehler, weil der Regen nach ca. 20 Minuten nachlässt und ich mich aus der übrigens nicht vollständig dichten Hütte herauswage.
Unterm Kleinen Brocken, Schutzhütte
Kurz vor der Hermannstraße, wo es nach rechts im Streichen abgeht, kommen mir zwei junge Frauen in Regenponchos auf dem steilen Plattenweg entgegen, die mich anlächeln. Angesichts des miesen Wetters und der Anstrengung beim Aufstieg, überraschen sie mich positiv. Wie Heine (s. Foto von Tafel gestern) habe ich hier jetzt ein Hochgefühl, höre die Vögel zwitschern, der Regen hört auf und der ebene Weg ist angenehm zu gehen.
Es geht nun ins Ilsetal, das Heine in starken Worten besungen hat, im Grunde war dies seine Lieblingsetappe auf seiner Harzwanderung, daher ist der Weg jetzt auch nach ihm benannt.
Schon damals waren hier die Baumwurzeln auffällig, die an die Oberfläche treten, weil sie im harten Boden keinen Halt finden und für mich wie Finger einer Hand eines Riesen aussehen.
Rote Brücke, Auszug aus HarzreiseRote Brücke, die Wurzeln der Tannen
Die Ilse rauscht links, es kommen mir trotz des Regenwetters bereits einige Wanderer entgegen. Bei Sonnenschein ist hier sicher die Hölle los, das bleibt mir erspart.
Ilsefälle, Auszug aus HarzreiseBachschnellen der Ilse
Hier bei den Ilsefällen steht das Heine-Denkmal. Seine Phantasie ist hier etwas mit ihm durchgegangen, wobei er als Romantiker, der er zu diesem, frühen Zeitpunkt seines Lebens war, sich des örtlichen Märchen- und Sagenguts bediente. Mich erinnert die Harzreise in den Passagen über das Ilsetal sehr an den Taugenichts von Eichendorff, der übrigens ebenfalls 1826 erschienen ist.
Ilsetal, Heine-Denkmal
Kurz danach soll der Heineweg auf der linken Ilseseite weitergehen, doch die Brücke ist mit einer zaunartigen Holzkonstruktion versperrt. Angeblich aus Sicherheitsgründen. Hier mache ich meine Mittagspause mit Wasser und Datteln. Etwas später komme ich über eine andere Brücke dann doch auf den Heineweg zurück. Hier ist jemand fleißig gewesen und hat einen Steinmännchenpark angelegt.
Ilsetal, Steinmännchen
Kurz vor Ende der heutigen Etappe, auf der mir über große Strecken die Beine so schwer sind wie selten zuvor, müssen noch einige Höhenmeter bewältigt werden auf dem Weg zum Ilsestein. Ich kämpfe mich hier über einen eigentlich verschwundenen schmalen Weg über viele umgestürzte bzw. gefällte Baumstämme den Waldhang hinauf. Als ich den Berg in einem Halbrund am Waldrand hochgehe, links und rechts die so langsam verblühenden lila Kelche des Fingerhuts, definitiv die Blume meiner Harzwanderung.
Fingerhut
Der Blick, der sich vom Ilsestein nach Osten nach Ilsenburg hinunter eröffnet, ist atemberaubend. Der Ilsestein ist ein Granitfelsen, auf dem im 11. Jahrhundert eine kleine Reichsburg von Heinrich IV. stand, die bereits 1105 auf Geheiß des Papstes zerstört wurde. Heute steht hier ein eisernes Kreuz, das am ersten Tag der Völkerschlacht von Leipzig 1814 von Graf Anton zu Stolberg-Wernigerode für seine in den Befreungskriegen gegen Napoleon gefallenen Freunde und Bekannte errichtet wurde.
Ilsestein, Blick auf IlsenburgIlsesteinIlsestein, eisernes Kreuz
Die trotz der langen Abstiege – es geht jetzt noch einmal auf halsbrecherischem schmalen Schotterpfad bergab – anstrengende Etappe findet ein unverhofft gutes Ende. Aus irgendeinem Grunde (evtl. weil mich gestern Abend in Schierke zwei Wanderinnen gefragt hatten, wo die Bushaltestelle ist, sie hätten keine Lust mehr und müssten noch nach Wernigerode zu ihrem Auto), war ich davon ausgegangen, dass ich noch bis Wernigerode, also noch 8,6 km zusätzlich gehen musste und hatte mich aufgrund der fortgeschrittenen Zeit und zunehmender Wanderunlust damit angefreundet, den stündlich fahrenden Bus zu nehmen. Laut Internet fuhr der Nächste um 16h31. Ich spute mich also und bin kurz nach vier an der Straße nach Wernigerode und wer fährt direkt vor meiner Nase weg? Der 270er Bus nach Wernigerode. Die Wartezeit verbringe ich also im Wartehäuschen und löffle einen Eiskaffee vom Bäcker. Bis mir einfällt, doch mal zu gucken, wo genau mein Hotel ist. Und was soll ich sagen, es stellt sich raus, dass es sich hier in Ilsenburg befindet und zwar 1,8 km weiter oben, ich bin also bereits vorbeigelaufen! Welch Glück, dass ich das noch gemerkt habe, bevor ich in den Bus gestiegen bin!
In jedem Fall gehe ich nun leichten Fußes – immer wieder überraschend wie Pausen mit Flüssigkeitszufuhr die vorher noch zentnerschweren Beine und Füße wieder beflügeln können – zu meinem Hotel im Park.
Grenzstein auf Staudamm Kolonnenweg hochgeschwitzt Felsbrockenhinab
Ein gutes, von der netten Pensionsbetreiberin vorbereitetes Frühstück mit Ei, grünem Tee, Holzbrettchen mit Aufschnitt und Käse sowie Sahnejoghurt mit Müsli erwartet mich nach einer erholsamen Nacht.
Draußen scheint die Sonne und ich gehe stracks durch den Kurpark zur Talstation der Burgbergseilbahn, wo die heutige Etappe beginnt.
Bad Harzburg, Burgbergseilbahnbasis
Hier geht es in den Wald, an einem Baumwipfelpfad vorbei, bei dem man sich schon fragt, ob er seine Umgebung verschönert. Er steht auf der Wiese im Kalten Tal, wo die Nazis mit 4000 SA-Leuten und dem Verband Stahlhelm 1931 einen Feldgottesdienst organisierten, um den Segen der Kirche für die geplante Abschaffung der Demokratie zu bekommen.
Bad Harzburg, Baumwipfelpfad
Ich komme auf dem ansteigenden Weg im schattigen Laubwald gut voran. Tafeln am Wegrand erklären die Baumwurzelarten als da sind Herzwurzler (die meisten Laubbäume, z. B. Buchen), Flachwurzler (z. B. Fichten) und Pfahlwurzler (z. B Kiefern, Lärchen und Eichen). An der Bushaltestelle des Molkenhauses – die erdgasbetriebenen Busse, genannt grüner Harzer, kommen hier fast überall hin – mache ich eine kurze Trinkpause. Ich komme nun zu einer großen Wiese mitten im Wald, die überquert werden muss.
Wiese oberhalb vom Molkenhaus
Nach dem vorherigen Anstieg geht es nun überraschenderweise erst einmal hinunter in das schmale Eckertal, das man wohl passender als Schlucht bezeichnen könnte. Am Talende geht es hinauf zur Eckertalsperre, die vor 1990 hälftig auf die beiden deutschen Staaten aufgeteilt war, was bis zu den bilateralen Verträgen Ende der 70er Jahre zu vielen Problemen bei der Nutzung führte. Ursprünglich wurde die Eckertalsperre 1943 fertiggestellt, um den zunehmenden Trinkwasserbedarf von Wolfsburg und Braunschweig zu stillen. Die Grenze verlief in der Mitte des Stausees und auf der Staudammmauer steht heute zur Erinnerung noch der alte Grenzstein.
Eckertalsperrenstaumauer, ehemalige Grenze
Von hier hat man einen schönen Blick auf das heutige Wanderziel der Begierde, den Brocken mit dem Sendeturm. Aber bis dahin werden noch einige Tropfen Schweiß die Stirn hinunterrinnen.
Eckertalsperre mit Brocken im Hintergrund
Es geht nun auf dem Harzer Grenzweg, einem Teil des grünen Bandes, das der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze folgt, auf einem Kolonnenweg hinauf zum Brocken. Ich treffe hier auf sehr wenige Mountainbiker, die diesen steilen Aufstieg wagen. Die im Verlauf zunehmende Steigung beträgt im Schnitt 12 bis 15 Prozent, an einzelnen Stellen sogar bis zu 20 Grad, definitiv der anstrengendste Weg hinauf zum Brocken. Ein junger Mountainbiker überholt mich so gerade eben, Geschwindigkeit ca. 5 km/h und er muss zum Teil diagonal im Zickzack fahren, um hochzukommen. Ich überhole ihn dann wieder kurz vorm Kleinen Brocken, wo er auf einer Bank die weite Sicht aufs Umland genießt und sehe ihn nicht wieder.
Kolonnenweg zum Brocken
Auch Heine ist diesen Weg – damals natürlich noch ohne Platten – wohl rauf gegangen. Ich stoße nun auf den nach ihm benannten Weg, und zwar an der Stelle, wo sich für mich Auf- und Abstieg trennen werden. Er ging auf dem Rückweg vom Brocken über die Schneelöcher, heute Nationalpark, hinunter ins Ilsetal, wohin ich ihm morgen folgen werde.
Hermannchaussee, Heinrich Heine Weg
File under small pleasures of hiking: Je näher man dem Gipfel kommt, desto häufiger frischt der Wind auf und trocknet die nassgeschwitzten Klamotten und kühlt so den Körper. Was für eine Wohltat!
Kurz vor dem Kleinen Brocken überschreite ich die 1000 Metermarke, der Brocken ist jetzt in Griffweite, aber es sind noch 140 Höhenmeter.
Oben treffe ich auf Menschenmassen, die von ihrer Physis her zu urteilen, wahrscheinlich überwiegend mit der Brockenbahn hochgekommen sind. Ich nehme bis zum Bahnhof den Rundweg auf dem Brockenplateau, der heute weite Blicke in die Umgebung freigibt; ich hatte gelesen, dass es an über 300 Tagen im Jahr hier neblig ist. Oben am Bahnhof stehe ich bestimmt 15 Minuten an für eine Thüringer Rostbratwurst und ein Weißbier, das hier auch endlich wieder richtig heißt und nicht Hefeweizen wie in Westdeutschland außerhalb Bayerns.
Brocken, Blick nach Wernigerode
Da ich im Brockenhotel keinen Platz mehr gefunden habe, muss ich nun noch die 5,5 km nach Schierke absteigen. Das gestaltet sich als gar nicht so einfach, da der Wanderweg über große, rundliche Felsbrocken verläuft, wo man genau aufpassen muss, wo man hintritt, zum Teil muss man sogar die Hände zu Hilfe nehmen, um die Steine zu überwinden. Beim Einstieg kommt mir eine Gruppe von Jugendlichen mit geistigem Handicap mit ihren jungen Lehrerinnen entgegen. Sie zu einem Nachzügler: „Komm Gazelle, da vorne ist die Straße, Du hast es geschafft!“ Jetzt im Nachhinein, wo ich die über 3 km recht anspruchsvollen Felsenweg kenne, bin ich noch mehr voller Bewunderung, ob ihrer Leistung. Die Größe der Steine nimmt übrigens während des Abstiegs ab, das ist für mich angenehm.
Abstieg vom Brocken nach Schierke
Immer wieder hört man hier den langgezogenen Ton des Signalhorns bzw. das Schnaufen der Dampflok der Brockenbahn, deren Schmalspurgleise mehrfach überschritten werden. Passenderweise treffe ich gerade auf sie, als sie durch ein ausgedehntes Gebiet mit abgestorbenen Fichten fährt.
Brockenbahn im Fichtenfriedhof
Schließlich komme ich in Schierke an, wo das erste Hotel auf der linken Seite meins ist. Es ist etwas in die Jahre gekommen, strahlt aber auch einen gewissen Charme aus. Das Einbauduschbad erinnert mich etwas an ähnliche „Weltraumbäder“ in der Studentenstadt München-Freimann aus den Siebzigern. Schierke ist ein Wintersportort, der aber sicher auch schon bessere Zeiten gesehen hat.
Schierke, Hotel Brockenscheideck
P. S. Ich habe heute rund 100 Kilo ca. 1000 m hochgeschleppt. Wenn 1 Kilo einen Meter hochhieven 10 Joule entspricht, dann hätte ich eine physikalische Arbeit von 1000 Kilojoule geleistet. Wofür ich bestimmt 1000 Kilokalorien, also über 4.000 Kilojoule Nahrung aufnehmen musste. Der menschliche Körper ist gar nicht so ineffizient, aber der menschliche Geist kann Maschinen ersinnen mit noch vielfach höherem Wirkungsgrad. Zum Beispiel den Elektromotor.
Hose olivgrün Das Regencape leuchtet gelb unterm schwarzen Schirm
Wache recht erholt in meiner JH-Kemenate auf, obwohl sowohl spätabends als auch frühmorgens schon einige Leute auf den Gängen unterwegs sind. Das Frühstück um halb acht ist besser als erwartet, der O-Saft eine Plörre, aber es gibt Körnerbrötchen sowie Naturjoghurt, etwas Obst und Müsli. Außer mir einige noch ältere Gäste sowie auch schon die ersten Kinder am Buffet.
Draußen ist es feucht, was sich auch den ganzen Wandertag nicht ändern wird. Es nieselt mit gelegentlichen Schauern.
Ich gehe die Abkürzung runter in den Ort und komme dieses Mal am Siemenshaus (1692/93) in der Schreiberstraße vorbei. Der Leitspruch der Familie – ein Zweig gründete später das Weltunternehmen – ist ora et labora.
Goslar, Siemenshaus
Am Marktplatz komme ich gerade noch rechtzeitig an für das Ende des 9 Uhr Glockenspiels, das die Geschichte des örtlichen Bergbaus ab der Entdeckung durch Ritter Ramm erzählt. Es ertönt das Steigerlied.
Goslar, Glockenspiel
Die erste Kneipe auf dem Weg, wo das kleine Pils noch 1,60 kostet, hat leider noch zu…
Goslar, Pub
Ebenfalls an der Hauptstraße liegt die St Stephanikirche, die das Konzept der offenen Kirche nur eingeschränkt realisiert. Sie ist heute von 15 bis 16h30 geöffnet. Das ist mit meiner Tagesplanung leider nicht synchronisierbar.
Hinaus aus der Kreisstadt geht es durch das Breite Tor von 1443, das die Stadt damals sicher sehr gut gegen unerwünschte Eindringlinge geschützt hat. Ich gehe nun durch die Wallanlagen am ausgedehnten Schützenplatz vorbei, wo sich eine Kirmes mit Riesenrad und Achterbahn im Dornröschenschlaf befindet. Hier kommt just ein Regenschauer runter und ich verziehe mich in ein Bushaltestellenhäuschen. Die gute Businfrastruktur rettet mich heute mehrmals davor, noch nasser zu werden als ich schon bin.
Goslar, Breites Tor
Am Ortsausgang treffe ich einen Hundebesitzer, der seine zwei stattlichen Picards – französische Hütehunde – in seinem Kofferraum verstaut. Er wünscht mir eine schöne Wanderung. Auf jeden Fall kann ich mich über Trockenheit und Hitze nicht beschweren.
Ein altes Fabrikgebäude am Straßenrand wird vom Fraunhofer-Institut für ein Reallabor zum Recycling von Lithium-Batterie-Speichersystemen genutzt. Vor der Tür stehen zwei Arbeitnehmer und rauchen.
Es geht nun durch den Wald nach Oker. Netto gewinne ich heute gerade mal 27 Meter von Goslar nach Bad Harzburg, aber es geht viel rauf und runter. Am Ortsrand von Oker sehe ich die Türme der Bleihütte im leichten Nebel, die wie überflüssig gewordene Restposten eines vergangenen Industiezeitalters in den Himmel ragen.
Oker, Bleihütte
Kurz nach Überquerung der Oker nutze ich eine weitere Bushaltestelle, um den Durchnässungsgrad meiner Klamotten so gut es gut zu minimieren. Bis auf die Schuhe gelingt mir das auch relativ gut, die Körperwärme und der Gehwind sorgen dafür, dass die Hose nur unten richtig nass bleibt.
Ich nähere mich nun meinem Ziel und mache einen Abstecher ins Künstlercafé Winuwuk, das mit Worpswede im Zusammenhang steht. Das Haus ist originell gebaut (fast) ohne rechte Winkel, es passt irgendwie in den Harz, windzerzaust wie es aussieht. Leider macht die Galerie erst 14 Uhr auf, so lange kann ich aber nicht warten. Ich esse dort ein Tässchen mittelmäßige Gulaschsuppe für 8 Euro, was mir den Atem verschlägt, das hat mit Inflation nix mehr zu tun, das ist Nepp.
Auf den wenigen Metern, die mich jetzt noch von Bad Harzburg trennen, schaffe ich es noch, mich zu verlaufen. Es hat mit der Darstellung des Tracks als fette rote Linie auf meiner Wander-App E-walk zu tun. Das führt dazu, dass man denkt, der Hauptweg ist identisch mit dem eigenen Track, was aber nicht immer der Fall ist. Es geht ein schmaler, durch Büsche verdeckter Weg links ab, der in den Ort führt, den ich völlig übersehe, weil ich mich ja auf dem breiten Wirtschaftsweg befinde, der übrigens in der App nur gestrichelt dargestellt ist, während mein eigentlicher Trampelpfad fett rot erscheint. Na ja, alles nicht so tragisch, nachdem ich etwa 500 m leicht angestiegen bin, fällt es mir auf und ich finde dann auch Sherlock Holmesmäßig den Abzweig. Heine hat sich auf dieser Etappe übrigens auch verlaufen, er hat ebenfalls den Ort unterhalb der Harzburg, der damals noch deutlich kleiner war und noch Neustadt hieß, nicht auf Anhieb gefunden. Ich bin also in guter literarischer Gesellschaft.
Im Ort bewundere ich das vorbildliche Mülltrennungskonzept, da wird schön unterschieden zwischen Verbundstoffen, Restmüll, Glas/Dosen und Papier. Hoffen wir mal, dass die Fehlwurfquote nicht so hoch ist.
Bad Harzburg, Bunte Mülleimer
In Bad Harzburg hole ich mir mit einem per E-Mail übermittelten Code meinen Schlüssel aus dem Schlüsselkasten und lege mich in meinem Pensionszimmer erstmal hin. Der Regen hört jetzt langsam auf und ich spaziere an der wilden Radau entlang in den Kurpark. Das alte Kurhaus, das 1931 von der Nationalen Front, einem Bündnis aus NSDAP, DNVP, Stahlhelm und anderen nationalistischen Verbänden als Versammlungsort genutzt wurde, wurde 1964 durch ein modernes Gebäude ersetzt.
Bad Harzburg, Radau
Im Haus der Natur lasse ich mich im Schnelldurchlauf – mehr als eine knappe Stunde habe ich nicht – von einem Mädchen, einer Försterin und einen Nationalparkranger in Videos durch die Waldausstellung führen. Dass die Luchse gute Augen haben, wusste ich ja schon, aber, dass sie mit ihren großen Tatzen vor allem Rehe reißen, die viel größer sind als sie, war mir nicht klar. Inzwischen leben wieder rund 100 Luchse im Harz und angrenzenden Gebieten.
Bad Harzburg, Haus der Natur, Luchs mit Rehbeute
Bad Harzburg war um 1900 eines der führenden Heilbäder Deutschlands. Die Basis war eine Solequelle. Im Kurpark kann man weiterhin kneippen. Es stehen aus der damaligen Zeit noch viele Villen, die den Charme einer verlorenen Zeit verströmen.
Nichts übereilen Zu zweit den Blick genießen Fachwerkoverkill
Auch in meinem luxuriösen Zweizimmerappartement wache ich morgens früh gegen halb fünf auf. Fünf Stunden Schlaf müssen reichen. Nach dem ausreichenden Frühstück packe ich meine Siebensachen, vergesse nichts und tippele durch Zellerfeld, das mir etwas gediegener vorkommt als Clausthal, die Bürgerhäuser an der Hauptstraße sind besser gepflegt. Aus dem Ort raus geht es bei Sonnenschein auf einem zweispurigen Weg, mit einem asphaltierten Teil für Fahrräder und einem schmalen Teil für Fußgänger. Die Temperaturen werden heute die zwanzig Grad leicht überschreiten, ideales Wanderwetter.
Weg aus Zellerfeld heraus
Heute am vierten Tag haben sich meine Füße eingegroovt, großartige Wehwehchen habe ich keine. Die Etappe ist mit 17,4 km überschaubar und ich gehe sie beschaulich an, warum in der Ferne schweifen, wenn das Schöne so nah ist? Ich komme wieder an diversen Teichen vorbei, die zum Verschnaufen einladen.
Kiefhölzer Teich
Im Wald dann plötzlich eine Bank, die Besorgnisse ausdrückt, die nicht völlig von der Hand zu weisen sind, aber auch von Parteien gekapert werden, die mir hinwiederum Angst machen. Die Welt ist komplizierter geworden, einfache Lösungen scheinen zwar attraktiv, werden die Probleme aber sicher nicht lösen. Ende der Klugscheißerei…
Bank mit politischer Agenda
Auf dem Wirtschaftsweg kommt ein schweres Forstfahrzeug mit diversen Baumstämmen heruntergefahren. Dort wo es herkommt, muss ich hin, den Berg hinauf. Auf dem Weg treffe ich mehrere Mountainbiker, die an den Kreuzungen die kleinen Wegschilder intensiv studieren. Ich erreiche den mit 762 Meter bisher höchsten Punkt der Wanderung, die Schalke. Auf dieser baumlosen Höhe gibt es einen Aussichtsturm, von dem man sehr schön im Osten bei bester Sicht den Brocken mit dem Sendemast ausmachen kann. Außerdem sieht man in der Ferne rechts Clausthal-Zellerfeld. Am Rastplatz um die Ecke sitzen drei Wanderfreunde, die ins nahegelegene Schulenberg gehen wollen, um dort einzukehren. Plötzlich klingelt mein Handy, ich Stoffel habe mal wieder vergessen, die Rufumleitung vom Büro rauszunehmen.
Schalke, Blick auf Brocken
Es geht nun langsam wieder hinab auf einer Piste, ein weiterer Wanderer ist gerade dabei, mich zu überholen, als er mich fragt, ob der Ort da vorne unterhalb des Brocken Altenau ist, ich kann das nach Studium der Karte im Führer bestätigen. Wir gehen nun gemeinsam den Weg nach Goslar und quatschen die ca. zwei Stunden über den Harz, das Wandern und Gott und die Welt. Er kommt aus Holzminden und ist mit dem Deutschlandticket erst mit der Bahn und dann mit dem Bus die Harzhochstraße nach Auerhahn gefahren, von wo er seine Tageswandertour nach Goslar, wo er wieder in den Zug nach Hause steigen wird, begonnen hat. Wir laufen auf dem Kamm bei schönster Aussicht erst nach Osten, dann nach Norden. Der Weg ist zwar nicht identisch mit dem in meinem Führer, der tiefer verläuft, aber das ist egal, Hauptsache wir landen in Goslar. In der Ferne sieht man schon das Bergwerk Rammelsberg, dem Goslar seinen Reichtum zu verdanken hat. Hier wurden Silbererze abgebaut, das Bergwerk war das erste Erzbergwerk auf deutschem Boden und insgesamt über tausend Jahre in Betrieb und schloss erst 1988. Man kann es heute besuchen und es gehört zum Weltkulturerbe.
Museumsbergwerk Rammelsberg
Hier trennen sich nun unsere Wege, mein Wandergenosse geht zum Goslarer Bahnhof, während ich mich in der Jugendherberge einchecke, wo ich erstmal ein Eis schlecke. Kurz nach 14h ist hier die Ruhe vor dem Sturm und ich lege mich nach der Dusche in meinem Zimmerchen für eine halbe Stunde aufs Ohr.
Goslar, Jugendherberge
Es fängt nun an zu regnen, so dass ich erst kurz vor fünf in den Ort runter gehen kann. Die frühere Hansestadt ist ein riesiges Fachwerkensemble, es wird mir fast zuviel, die herausragenden Bauten wie das Siemenshaus oder das Gildehaus Kaiserworth am Markt – heute ein Hotel – habe ich gar nicht photographiert.
Goslar, Neue Straße
In Goslar steht seit ca. 1000 die gegen Ende des 19. Jahrhunderts renovierte Kaiserpfalz, wo die deutschen Kaiser seit Heinrich dem II. dem Heiligen, gerne Hof hielten. Gegen 1250 war es mit der Kaiserzeit vorbei, nun blühte Goslar mit dem von den Welfen an die Stadt gepfändeten Bergwerk aber erst richtig auf.
Goslar, Kaiserpfalz, rechts Barbarossa, links Wilhelm I.
Neben der Kaiserpfalz steht die 6 m hohe Skulptur „Griff in die Freiheit“ von 1955, die an die Heimkehrer, Kriegsgefangenen und Vermisstenangehörigen aus dem 2. Weltkrieg erinnern soll. Außerdem steht dort eine Tafel für die über 12 Mio. Vertriebenen.
Goslar, Denkmal für Kriegsgefangene
Cut. Wer in Goslar mit dem Bus fährt, kann es sich beim Warten auf einem Thron bequem machen und sich auch einmal kurz wie ein Kaiser fühlen.
6 km/h, echt? Der Natur am Teich lauschen Wasser hoch halten
Ich wache so gegen halb fünf auf, aber ich war ja auch früh ins Bett gegangen, und ich tippe mein Tagebuch. Die Waden schmerzen etwas. Das Frühstück gegen halb acht üppig, die Pensionsgäste sind Frühaufsteher. Der Gastgeber, der in meinem Alter ist, erzählt mir davon, dass er die Strecke nach Clausthal in 3,5 Stunden geht, das wäre ein 6 Km/h-Schnitt, im Führer schreiben sie von 5,5 Stunden. Ich ärgere mich, dass er es schafft, mir schlechte Laune zu machen. Ich brauche an reiner Gehzeit um die 5 Stunden, es geht allerdings auch noch zu den Teichen und ist damit nicht ganz der direkte Weg.
Startpunkt ist der große Parkplatz Bleichestelle, wo auch der Harzer-Hexen-Stieg beginnt, der über knapp 100 km über den Brocken nach Thale geht und dessen erster Etappe ich zu einem großen Teil heute folgen werde.
Ich wende mich allerdings erst einmal nach links zum Friedhof hinauf. Dort stehen die traurigen Überreste der alten Burg, man ahnt noch den Bergfried. Sie wurde wohl im 12. Jahrhundert von den Grafen von Katlenburg gebaut. Später gehörte sie Heinrich dem Löwen.
Osterode, Burgruine
Oberhalb des Friedhofs wende ich mich auf einem Weg direkt nach Osten, ein mir entgegenkommender Autofahrer bestätigt, dass es hier nach Clausthal-Zellerfeld geht, er spricht von „Zahle“. Damit vermeide ich, wieder runter zum Parkplatz gehen zu müssen. Ich komme durch Wiesenwege auf den breiten geschotterten Hexen-Stieg, der auf der Strecke bis Clausthal – und dann weiter bis Bad Harzburg – auch Hundscher Weg heißt und früher insbesondere für den Transport von Materialien und Nahrungsmitteln für die Bergleute in Clausthal sehr wichtig war. Am Wegrand die Holzskulptur einer Frau mit einer Kiepe auf dem Rücken, die bis zu 40 kg wiegen konnte.
Hundscher Weg, Frau mit Kiepe
Der sukzessive ansteigende Weg ist breit und erinnert mich anfangs etwas an die von mir ungeliebte Wanderautobahn Rennsteig. Allerdings gibt es später dann doch einige, schöne Ausblicke. Wanderer treffe ich auch kaum. Der erste Rastplatz ist der Eselsplatz mit Stempelstelle für die Wanderer, die ihre Aktivität gerne dokumentieren.
Hundscher Weg, Eselsplatz
Es eröffnet sich nun ein Ausblick zurück nach Osterode, wo man sehr schön die kurz hinter dem Ort abbrechende Gipskante sieht. Außerdem weiter vorne, einige Häuser des heute zu Osterode eingemeindeten Straßendorfs Lerbach, das sich viele Kilometer lang an der Straße im Tal hinzieht.
Hundscher Weg, Blick auf Osterode, vorne Lerbach
Der nächste Stopp ist der Marienblick, wo man die letzten Häuser von Lerbach sehen kann. Der Mischwald besteht zu jeweils rund einem Viertel aus Fichten und Buchen, dann kommen Eichen und Kiefern. Von den Fichten hat der Borkenkäfer nur noch die kahlen Stämme übrig gelassen.
Hundscher Weg, Marienblick: Die Fichte ist tot, lang lebe der Laubwald!
Auf einer Tafel am Wegrand steht, dass ein Hektar (intakter) Wald ca. 10 t CO2 im Jahr bindet. Wenn man das hochrechnet, dann kann der deutsche Wald den überwiegenden Teil der deutschen CO2-Emissionen durch den Straßenverkehr kompensieren.
Hundscher Weg, Liebespaar
Das Waldsterben, das in meiner Studienzeit in den Achtzigern medial in aller Munde war (Stichwort saurer Regen mit der Verbindung von Stick- und Schwefeloxiden und Wasser, übrigens schon früh im Harzbergbau entdeckt), hat in den letzten trockenen Sommern in großem Maße real eingesetzt. Es ist inzwischen eine Waldfläche von der Größe des Saarlands betroffen. So steht es in dem Buch vom Waldwanderer Gerald Klamer (einem ehemaligen Förster), das ich in Clausthal erstanden habe. Die langfristige Lösung kann ja nur sein, hitzebeständigere Baumarten zu pflanzen. Das werden dann jedenfalls keine Fichten mehr sein.
Hundscher Weg, Der Wald steht still und schweiget
Das letzte Stück der heutigen Etappe ist ein Wasserwanderweg auf den Spuren der Wasserwirtschaft in Clausthal. Für das Betreiben der Silbererzbergwerke war Energie nötig, die man aus den umliegenden Teichen durch geschickte Leitung des Wassers gewann. Sie setzte dann bis zu 10 m große Schaufelräder in Bewegung, die dann Pumpen, Gebläse und Pochwerke antrieb, indem die drehende Bewegung des Rades z. B. in Auf- und Abbewegungen von Stangen umgesetzt wurden.
Ich gönne mir am Hirschler Teich eine Pause, trinke einen Liter Wasser, beobachte das Treiben der Vögel und Insekten und lausche ihren Lautäußerungen. Ich bilde mir ein, Teil der Natur zu sein und versuche für ein paar Momente einzutauchen in sie.
Vor Clausthal, Hirschler Teich
Über die Harzhochstraße, die B242, gehe ich hinunter nach Zellerfeld, wo ich mich einquartiert habe. Kurz vor dem Ziel kann ich einem Regenschauer ausweichen, indem ich im Discounter Proviant besorge. Mein Zimmer hat ein Upgrade bekommen, ich darf in einem 2 Zimmer-Appartement nächtigen, hoffentlich vergesse ich hier bei den vielen Ablageorten nichts.
Clausthal, Marktkirche
Nach der Dusche und einem weiteren Regenguss gehe ich raus. Vorher habe ich mir die Schuhe vorne noch fest zugebunden, um beim Abwärtsgehen nicht immer vorne am Schuh anzustoßen. Es macht einen großen Unterschied. Zuerst gehe ich hinunter zur B242, dann wieder hinauf die Hauptstraße, den Zellbach, in den anderen Ortsteil Clausthal. Hier stehen viele, oft ziemlich heruntergekommene Holzhäuser. Man sieht auch viele junge Leute aus allen möglichen Ländern, es gibt rund 4.000 Studenten an der TU, bei rund 15.000 Einwohnern insgesamt. Ich gehe bis zur blauen Marktkirche aus Holz, mit über 2.000 Plätzen die größte Holzkirche Deutschlands. Gegenüber ist das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie.
Interessant und im zweiten Fall erschreckend die Ergebnisse der letzten Europawahl im Harz. Im Landkreis Goslar, der die westlichen Teile vereint, war die CDU vor der SPD und der AfD stärkste Kraft, soweit so gut. Im Landkreis Harz mit dem Ostharz hingegen war die AfD vor der CDU und dem BSW an der Spitze, die SPD war nur noch einstellig. Die Ergebnisse in ganz Ostdeutschland waren ähnlich. Da gibt es nichts schönzureden, der eiserne Vorhang hat sich in den Köpfen wieder gesenkt.
Zum Nachdenken noch ein
P. S. Bevor ich einschwenkte auf den Wasserwanderweg gab es eine Hinweistafel zu den Todesmärschen der Nazis im April 1945. Vom KZ Gandersheim marschierten am Samstag, dem 4.4. 450 Häftlinge Richtung Wernigerode über den Harz. Die Nazis sperrten sie in die Zellerfelder Kirche. Viele litten an Durchfall weil sie völlig ausgezehrt Hundefutter gegessen hatten. Sie konnten nicht anders, als ihre Notdurft in der Kirche zu verrichten. Das nahmen die Nazis als Vorwand für zwei Massaker an 21 Häftlingen (Franzosen und Italiener). Auch viele andere KZ-Insassen bezahlten den Todesmarsch mit dem Leben. Ende April kamen noch 150 lebende Häftlinge nach einem Güterwaggontransport in Dachau an.
Füße schwer wie Blei Abstecher in die Kindheit Gips unter dem Fuß
Morgens suche ich als erstes meine Brille. Sie taucht später unter den Sachen wieder auf. Das Frühstück nehme ich mit einem dänischen Paar ein, das auf dem Rückweg ist. In der Fußgängerzone bin ich alleine und sehe verschiedene Skulpuren u. a. von Momo aus dem Buch von Michael Ende, das ich als Jugendlicher von Tante H. geschenkt bekommen hatte, aber aus Arroganz nie gelesen habe. Das sollte ich eventuell mal korrigieren.
Northeim, Momo und Kassiopeia auf dem Weg zu Meister Hora (Michael Ende)
Ich verlasse nun Northeim, komme am Friedhof vorbei, wo im östlichen Teil mit den frischen Gräbern eine größere Anzahl von Muslimen an einem Grab steht, keine einzige Frau dabei. Der Imam in seiner weißen Tracht kommt auch gerade. Heute ist das Opferfest.
Mir sind heute am zweiten Tag die Beine klumpenschwer, ich habe das Gefühl, nicht voranzukommen. Auf dem Leine-Ruhme-Radweg geht es unweit letzterer meist auf Asphalt gen Osten. Vereinzelt treffe ich auf Sonntagsradfahrer, an einer Stelle geht es auf einem Schotterweg etwas bergauf und dann wieder bergab, ansonsten ist die heutige Etappe mehr oder weniger flach. Hinter Elvershausen wende ich mich nach rechts auf die Straße nach Katlenburg, dessen oberen, auf einer Anhöhe liegenden Teil man in der Ferne sieht. Ich komme an der Fruchtweinkellerei vorbei, wo es nach vergorenem Obstsaft riecht. Das Stammhaus wurde von einem Dr. Demuth 1853 erbaut.
Nun komme ich zum ehemaligen Stillehof, wo wir in meiner Kindheit häufig bei meiner Großmutter, von uns Omi Katlenburg genannt zu Gast waren. Die andere Omi, die Mutter meines Vaters, hieß Omi Einbeck, das nicht weit entfernt ist. Omi K. wohnte in einem, inzwischen abgerissenen Gebäudeteil zwischen der heute mit PV zugepflasterten Scheune und dem Wohngebäude von Bauer Stille. Da wo der weiße Kleinbus auf dem Bild steht. Ich klingele, leider ist niemand zuhause. Marlene Herwig, die Enkelin(?) von August Stille, den ich noch kannte, betreibt nun mit ihrem Mann eine Walnussveredelung hier.
Katlenburg, Klosterhof (früher Stille-Hof)
Ich gehe nun die Treppenstufe hoch zur „Burg“, was mir mit meinen schweren Beinen schwer fällt. Ich erinnere mich nicht, hier jemals zu Fuß hochgegangen zu sein, oft war ich nicht hier oben, wahrscheinlich immer mit dem Auto. Oben ist die St. Johanneskirche, wo meine Eltern im kalten Dezember 1962 sich haben trauen lassen.
Katlenburg, St Johanneskirche auf der „Burg“
Im Gebäude neben der Kirche ist die Bücherburg, wo nicht mehr gebrauchte Bücher ihre hoffentlich nur vorübergehende Heimat finden. Ich finde dort in dem recht gut geordneten Second Hand Bücherreich doch tatsächlich einen Bildband über den Harz, obwohl mir Martin Weskott, wie ich gerade übers Internet erfahre, seit 1979 Pfarrer der Gemeinde, sagte, dass Bücher über die Gegend immer sofort weggingen. Eine tolle Bücheraktion, die ihm sogar das Bundesverdienstkreuz eingebracht hat.
Katlenburg, Bücherburg
Ich verlasse Katlenburg auf der Bundesstraße 241 nach Osterode über die Brücke über die Rhume, die hier ganz flott dahinfließt, aber natürlich viel schmaler ist, als ich sie in meiner kindlichen Erinnerung habe.
Katlenburg, Rhume
Ich sehe bald im Osten in der Ferne einen mit Nadelbäumen bestandenen Berg, der Brocken war es wohl noch nicht, in jedem Fall ist der Harz nicht mehr weit. Die Bundesstraße verlasse ich in Berka und komme bald wieder auf den Radweg.
Baumsterben
Hier zieht es sich nun, ich lutsche Lakritzbonbons und komme durch das scheinbar endlose Straßendorf Droste. Im heimeligen, kopfsteingepflasterten Uehrde, das in der Gipskarstlandschaft liegt, hat jemand das Dorf zu einem Drink zu sich eingeladen. Die Gaststätte ist dementsprechend zu. Die letzten paar km schaffe ich jetzt auch noch. Am Straßenrand eine Bank und dahinter eine Rehherde. Plötzlich setzt sich der „Leitbock“ in Bewegung und die ganze Herde folgt ihm. Am Ende steht noch ein einsames Reh an der Stelle, das entweder den Anschluss verloren hat oder ganz froh ist, allein auf dem Magerrasen zu äsen.
Bei Uehrde, Rehherde
Das letzte Stück gehe ich durch ein Wäldchen die Gipskante steil hinab nach Osterode. Dort begebe ich mich auf dem schnellsten Weg in mein Dreisternehotel und erhole mich mit 0,2l Cola aus der Minibar, einer Dusche und der 2. Halbzeit Niederlande Polen, das so ausgeht, wie von mir getippt. Später gehe ich noch einmal durch den am Sonntagabend doch recht verlassenen Ort, esse beim Griechen – er heißt wirklich so – und bestaune in der Fußgängerzone noch eine Skulptur, die einen Eseltreiber zeigt, der Korn (das Getränk!) für die Bergleute in den Harz transportiert.
Osterode, Markt mit AegidienkircheOsterode, Eseltreiber
Holzstamm im Schatten Literflasche H2O Mehr brauchts nicht zum Glück
Nachdem ich am Vorabend mit dem Zug aus Frankfurt angereist bin, vom Bahnhof in mein Hotel in der Nordstadt an der Weender Straße getippelt bin, dort in der Sauna schön geschwitzt habe, zum Abendbrot einen Flammkuchen gegessen habe und die drei Tore der ersten Halbzeit Deutschland gegen Schottland genossen habe und dann eingepennt bin, geht es heute an einem am Morgen vom Wetter her wenig verheißungsvollen Samstag los auf die Wanderschaft auf den Spuren Heinrich Heines.
Das Frühstück nehme ich in einer Fast Food Kette ein, wo ich um 8 der erste Kunde bin. Es wird bis zum Abend meine einzige Mahlzeit bleiben, Orangensaft, ein kleiner Bun mit Ei und gepresstem Würstchenfleisch, ein Croissant und ein Capuccino. Der Regen lässt langsam nach. Ich habe jede Menge WandergenossInnen, auf die ich aufpassen muss, um ihnen kein Leid zuzufügen.
Weinbergschnecke on the road
Es eröffnen sich Ausblicke auf Weende, ich komme an einem Gatter mit Rehen vorbei, bin von dem Rot des langen Mohnstreifens am Feldrand hypnotisiert. Außer mir sind einige Radfahrer, Jogger und Gassigeher unterwegs. Hier entscheide ich mich, nicht Heines Route im Tal über Bovenden zu nehmen, sondern die beiden Burgen unweit des Weges mitzunehmen. Was natürlich heißt, dass es Auf und Ab geht, ich würde denken, der reizvollere Weg, ich habe ja auch mehr Zeit als Heine, der am ersten Tag angeblich 47 km von Göttingen nach Osterode ging, ich habe diese Strecke in zwei Etappen aufgeteilt.
Mohnstreifen neben Gerstenfeld
Oberhalb von Eddigehausen steht die sehr gut erhaltene Burg Plesse. Ich komme von Süden durch den Wald über den steilen Eselstieg, den ich fast übersehe. Oben angekommen habe ich das ausgedehnte Burggelände mit Eingangstor, mehreren Türmen, Burghof, Kapelle, ehemaligem Herrenbau, heute Gaststätte, ganz allein für mich. Es ist windig hier oben, das Restaurant macht erst mittags auf. Die Sicht nach Nordwesten ist gut, es ist noch bedeckt, aber der Himmel wird sich im Laufe des Tages aufklaren.
Burg Plesse von SüdenBurg Plesse, WehrturmBlick von Burg Plesse
Auf der Karte sieht es nicht weit aus, aber laut Maps sind es 7 km zu meinem nächsten Zwischenziel, der Burgruine Hardenberg, passenderweise waren wir ja vor kurzem auf der Burg Neuhardenberg 60 km nordöstlich von Berlin, wo ein anderer Teil der Familie Hardenberg später residierte. Ich komme etwas vom Weg ab, der durch Laubwald verläuft, ich muss durch den zugewachsenen Wald recht steil absteigen, mache eine Trinkpause im Restaurant Rodetal und komme schließlich nach Nörten-Hardenberg, wo ein größeres Reitertreffen stattfindet. Oben am Tor der Burgruine steht ein Schild, dass das Betreten verboten ist aufgrund von Einsturzgefahr, offensichtlich ein Witz. Hier ist auch eine Nebenstelle des Standesamtes, es hat sich eine Hochzeitsgesellschaft eingefunden, die gerade ihren Aperitiv nimmt. Oben steht ein älterer unscheinbarer Herr, der mich darauf hinweist, dass wir (!) hier nicht mehr lange bleiben können, weil die Hochzeitsfeiernden demnächst das Tor schließen werden, um ihre Ruhe zu haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dies der Burgherr war, bin aber zu verdutzt, zu fragen. Bei Hardenberg wird es den Germanisten in den Ohren klingeln. Der früh gestorbene Romantiker Novalis gehört auch zur Familie, wurde aber auf einem anderen Gut der Familie in der Grafschaft Mansfeld geboren.
Burgruine HardenbergBlick von Burgruine auf Nörten-Hardenberg
Von Nörten-Hardenberg sind es etwa noch 10 km zu meinem Etappenziel. Ich finde einen Wiesenweg, der teilweise am Waldrand nach Norden verläuft und mich bis kurz vor Sudheim bringt. Anschließend stoße ich auf die vielbefahrene B3, kann aber meist auf dem Grünstreifen zwischen Radweg und Straße unter blühenden, gut duftenden Linden laufen. Ich treffe dort außer Autos bis kurz vor Northeim niemanden.
Am Stadtrand ein weiterer Outpost der o.n.g. Fast Food Kette, wo ich unbedingt einen Milk Shake zu mir nehmen muss. Das Eis ist so kalt, dass ich beim Trinken mit dem Strohhalm hinter der Nase einen Kälteschock mit leichtem Kopfschmerz erleide, Anfängerfehler. Ich beobachte das Treiben im Restaurant, bin überrascht, dass die meisten ihre Bestellungen über die Displays aufgeben und nicht mündlich. Etwas spooky, aber evtl. sogar schneller, weil die Bestellungen oft ziemlich komplex sind. Außerdem fällt mir auf, dass insbesondere Frauen, die hier essen gehen, fast durchwegs vollschlank sind. Keine so wirklich überraschende Beobachtung.
In Northeim gehe ich in mein Hotel, dusche mich, leiste mir mehrere Weißbiere, gucke den Spaniern zu, wie sie die Kroaten vernichten und futtere nach einem Gang durch die schmucke Fußgängerzone voller Fachwerkhäuser am Münsterplatz Schnitzel mit Spiegelei und herrlich krossen Bratkartoffeln.
Die Füße spüre ich überraschend stark nach der Wanderung, habe leichten Muskelkater und einen ganz kleinen Wolf. Also eigentlich alles ganz normal nach dem ersten Wandertag.
Der Sommer ist da Blick zurück nach vorgestern Nadelnde Lärchen
Am letzten Tag des Urlaubs machen wir noch eine Exkursion in die Lahnberge auf der linken Lahnseite. Über Nacht ist es sommerlich geworden und die Natur ist erblüht. Die Temperaturen erreichen um die 25 Grad, die Sonne, die sich die ganze Woche so rar gemacht hatte, hat sich nun eines anderen besonnen und scheint heute als gäbe es kein Morgen.
Im TEKA-Kaufhaus – sehr sympathisch, dass es sowas noch gibt hier – kaufen wir noch schnell eine Mütze und das Marbuch.
Hinter der Elisabethkirche findet vor dem wegen unzureichendem Brandschutz geschlossenen Mineralogischen Museum, das ursprünglich vom Deutschen Orden als Kornspeicher genutzt wurde, ein Wochenmarkt statt. Wir schlendern über den Markt und spazieren an einem Lahnnebenarm entlang, der zurück in die Lahn fließt, gehen dann über eine Lahnbrücke und überqueren anschließend die Fußgängerbrücke über die vierspurige B3, die sofort auf der anderen Lahnseite in Nord-Südrichtung verläuft. Wir sind überrascht, dass sich in unmittelbarer Altstadtnähe eine viel befahrene, autobahnähnliche Straße erstreckt.
Wochenmarkt vor Mineralogischem MuseumB3
Es geht anschließend einen asphaltierten Weg steil bergauf in den Wald. Dort gehen wir auf dem unter dem Laub immer noch rutschigen Waldweg in Serpentinen hinauf zum Spiegelslusstturm, der auch Kaiser-Wilhelm-Turm genannt wird, weil er wie so viele Aussichtstürme kurz nach der Gründung des Deutschen Reiches gebaut wurde. Man hat von dem mit 400 m höchsten Punkt der Stadt ein schönes Panorama über die Altstadt und das Schloss, von dem Catherine gestern den Turm gesehen hatte und als Ausflugsziel auserkoren hatte. Den Turm ziert das Elisabethherz, das man nachts durch Anruf einer Nummer zum Leuchten bringen kann.
SpiegelslustturmBlick auf Marburg vom Spiegelslustturm
In Süden in der Ferne erkennen wir den knapp 500 m hohen Dünsberg mit dem Fernmeldeturm, an dessen Fuß wir zwei Tage zuvor übernachtet hatten.
Wir steigen die Stufen hinauf zum Turm, die Aussicht nach Osten ist durch die hochgewachsenen Bäume versperrt. Oben im Inneren des Turms hängen einige Zeichnungen von Marburger Ansichten.
Im Wald gibt es Markierungen des MX9, einer Alternative zum Elisabethpfad von Eisenach nach Marburg.
Blick auf den Dünsberg vom Spiegelslustturm
Wir gehen nun weiter auf einem asphaltierten Weg durch den Wald nach Osten bis zum Klinikum, von wo wir einen Bus zum Botanischen Garten an den Gebäuden des neuen Unicampus vorbei nehmen.
Im Botanischen Garten sind überraschend viele junge Leute unterwegs. Wir sehen viele verschiedene Bäume, z. B. chinesische Mammutbäume, aber auch Gingkos, Obstbäume, viele Nadelbäume etc. Man kann die verschiedenen Rinden der Bäume betasten, die Buche sehr glatt, die Eiche sehr zerfurcht etc. Vor dem Bienenhaus herrscht ein reges Summen. Im Waschbärengehege ist niemand zu sehen. Die Tiere ruhen sich von ihren nächtlichen Aktivitäten aus. Im Café stärken wir uns mit einer herzhaften Schinkenwaffel mit Kräuterquark.
Wir gehen nun wieder zurück durch den Wald hinunter nach Marburg, wo wir nach einer knappen Stunde unser Hotel erreichen und unsere dort deponierten Rucksäcke abholen sowie zum Bahnhof gehen. Der Regionalzug hat eine Viertelstunde Verspätung und ist wegen eines fehlenden Wagens knackevoll. Wir finden oben, wo die Temperaturen fast saunahaft sind – Klimaanlage Fehlanzeige, man kann nur wenige Fenster öffnen – noch 2 Sitzplätze. Gegen 20 Uhr sind wir wieder zuhause, wo uns der Nachbar mit Kimba, der Sennenhündin begrüßt.
Blick auf Elisabethkirche von St. Michaelskapelle
Zum Schluss noch etwas zum Namen Elisabeth. „Eli“ bedeutet Gott und „Sabeth“ (Sabbat) Sieben. Also „Gott ist Sieben“ oder „Gott ist Fülle“. Oben auf dem Nordturm der Elisabethkirche ist ein siebenzackiger Stern angebracht, der Elisabethstern. Eine kleine Variante mit den drei Elisabethpfaden drauf, habe ich bei der Wanderung um den Hals getragen.
Als nächste Tour bietet sich übrigens der dritte mir noch fehlende ca. 160 km lange Weg von Köln nach Marburg an. Den man auch in der anderen Richtung als Jakobsweg gehen kann. Der gerade neu erschienene Pilgerführer beschreibt den Weg in beiden Richtungen.
Elisabethstern
Hier der Etappenüberblick über unsere Wanderung auf dem Elisabethpfad von zu Hause in Niederhöchstadt nach Marburg zu Ostern 2024.
Das Wetter schwingt um Der Weg gleitet unter mir Ein letzter Anstieg
Noch eine erholsame Nacht in einer Einliegerwohnung. Man fühlt sich in einer eingerichteten Wohnung einfach mehr zuhause als in einem anonymen Pensions- oder Hotelzimmer. Wir kochen uns vier kleine Kannen Tee, futtern Muffins zum Frühstück.
Nach einem Plausch mit unseren Gastgebern an der Haustür, die glaube ich ursprünglich aus Tschechien stammen, geht es auf die letzte, kurze Etappe nach Marburg. Es tröpfelt immer noch etwas, aber der Regen lässt langsam nach und die Sonne kommt im Laufe des Tages raus. Wir können die Regenjacke bald um den Bauch binden, was auch deswegen Sinn macht, weil wir noch einige Steigungen vor uns haben und insbesondere gegen Ende ins Schwitzen kommen.
Der Weg geht auf matschigem Grund bald in den noch lichten Laubwald hinein. Ich komme schnell in meinen Rhythmus, die Beine sind leicht, das walker’s high stellt sich ein. Mitten im Wald mehrere Häuser, ein Freizeitgelände. Wir sehen Jugendliche kommen und gehen.
Es geht nun um den Stadtwald genannten Stadtteil herum. Dort sehen wir ein Eichhörnchen, das einem anderen hinterherjagt. Sie klettern spiralförmig in einem Affentempo den Baum hoch, nehmen keine Notiz von uns. Für ein Foto mit den beiden bin ich natürlich mal wieder zu langsam. La saison des amours est ouverte.
Stadtwald, Eichhörnchen
Hinter Stadtwald haben wir einen phantastischen Blick auf das Marburger Landgrafenschloss im Norden.
Blick vom Hasenkopf zum Landgrafenschloss
Es geht nun auf einem schmalen, romantischen Pfad hinab durch eine Wiesenlandschaft mit vielen Bäumen.
Blick zurück vom Heiligengrund
Unten liegt Ockershausen, ein Vorort von Marburg mit dörflichem Charakter. Dort im Bücherschrank steht ein Französisch-Deutsch-Französisch Wörterbuch mit 260.000 Wörtern, das ich unbedingt mitnehmen muss. Höchstens fünf Pfund schwer. Von hier geht es steil bergauf an einer vielbefahrenen, kleinen und kurvigen Straße zum großzügig angelegten Marburger Zentralfriedhof, wo u. a. die Theologen Rudolf Bultmann und Rudolf Otto bestattet sind. Wir gehen um den Friedhof herum und laufen nun im Streichen auf einem schmalen Fußweg Richtung Schloss. Es kommen uns hier einzelne Radfahrer in z. T. recht hohem Tempo entgegen, die sich nicht mal dafür bedanken, dass wir ihnen netterweise den Weg frei machen.
Im Schlosspark ruhen wir unsere müden Glieder auf einer Liegebank aus und trinken etwas Wasser, es gibt in dem Moment nichts Entspannenderes als sich in die Horizontale zu begeben und den Vögeln zu lauschen. Eine Kindergruppe, die zum Schloss hochgestiegen ist, hat die Liegebänke auch für sich entdeckt.
Marburg, Schlosspark
Wir gehen einmal ums Schloss, man hat einen Blick auf die Neustadt, gegenüber ist der bewaldete Hügel mit dem Spiegelslustturm. Im Innenhof des Schlosses eine Steinmetzarbeit, wo u. a. Elisabeth dargestellt wird, wo sie den Bedürftigen zu essen und zu trinken gibt.
Marburg, Innenhof vom KurfürstenschlossMarburg, Kurfürstenschloss. Detail.
In der Elisabethkirche, deren Südteil mit Elisabeths Grab und der Jesusskulptur von Barlach wegen Renovierung immer noch geschlossen ist, lassen wir uns den finalen, dunkelblauen Pilgerstempel geben. Aufgrund der meist geschlossenen Kirchen ist der Pilgerausweis recht leer geblieben.
Wir schlendern durch die Altstadt, machen ein bisschen Shopping und kommen zur Universitätskirche, wo es eine Kunstausstellung mit Zeichnungen von Iris Kramer gibt. Dazu gibt es Texte der Künstlerin in Gedichtform. Ein interessantes Konzept, das ich gut gelungen finde, einige Zeichnungen werden für mich erst richtig durch die Texte erschlossen.
Marburg, Universitätskirche. Männerfreundschaft von Iris KramerMarburg, Universitätskirche. Die Alte von Iris KramerMarburg, Universitätskirche
Abends gehen wir Galettes essen und Cidre trinken in einem urigen kleinen Restaurant nahe der Lahn. Danach lassen wir den Abend ausklingen in einem Lokal im nahegelegenen Weidenhausen.
Marburg, dubiose Hausinschrift
Der ewig lange Korridor, der zu unserem Hotelzimmer im Anbau führt, erinnert mich stark an die berühmte Szene in dem scheinbar menschenleeren Hotel aus Barton Fink.
Hier der Etappenüberblick über unsere Wanderung auf dem Elisabethpfad von zu Hause in Niederhöchstadt nach Marburg zu Ostern 2024.
Heute alles zu Regen und Matsch genießen ganz für uns allein
Eine weitere erholsame Nacht, der Körper hat sich an den Wanderrhythmus angepasst, die körperliche Anstrengung am Tag wird mit der nächtlichen Regeneration belohnt.
Ausgiebiges Frühstück in der Ferienwohnung mit Smoothie, Osterei, großen Kürbiskernbrötchen, Lyoner und Bergkäse, dazu schwarzer bzw. grüner Tee. Zum Schluss Orange mit Joghurt.
Die Wettersituation hat sich nicht geändert. Draußen nieselt es. Gut, dass heute nur eine sehr übersichtliche Etappe auf dem Programm steht.
Da wir auch die nächste Nacht in einer Ferienwohnung verbringen werden und es auf dem Weg keine Geschäfte mehr gibt, gehen wir wieder zum Supermarkt im Ort, wo ich mich im glatten, gefliesten Eingangsbereich fast hinlege. Wir besorgen uns Tortellini, Tomatensauce und geraspelten Käse, die Backwarenverkäuferin „beglückwunscht“ uns noch zu unserer Wetterwahl diese Woche, nächste Woche soll es ja besser werden.
Wir verlassen den Ort auf einer Nebenstraße in Richtung Damm. Dort geht es dann wieder Richtung Waldrand, der Regen wird stärker.
Als wir aus dem Wald heraustreten, ist der Weg völlig vermatscht, wir gehen auf dem schmalen Grünstreifen daneben. Die Bauern sind mit dem Wetter auch nicht zufrieden, da sie nicht raus auf die Felder fahren können, ohne sich festzufahren.
Zwischen Damm und Niederwalgern
Über uns das glucksende, sprudelnde Gezwitscher der für uns unsichtbaren Feldlerchen, die sich vom Wetter nicht beindrucken lassen.
Im nächsten Ort Niederwalgern gibt es ein Café, das laut der Suchmaschine auf hat, in der verregneten Wirklichkeit jedoch in der Woche nach Ostern geschlosssen ist. Selbiges gilt für die Kirche, die allerdings mit einem „Ostergarten“ aufwarten kann.
Niederwalgern, Ostergarten im Kirchenvorraum
Wir beobachten diverses Federvieh, ein Huhn sieht sehr zerzaust aus, die Laufenten rennen aufrecht durch den Regen.
Ebenfalls zu, die Schulkantine, es sind ja Osterferien. Wir stellen uns unter – die Sitzunterlagen sind mal wieder Gold wert – und stärken uns mit einem Apfel.
Niederwalgern, sich aufplusterndes HuhnNiederwalgern, Entengehege
Der weitere, meist schnurgerade Weg verläuft über den ausnahmsweise mal sehr willkommenen Asphalt. Eine Joggerin überholt uns.
Straße nach Oberweimar
In Niederwalgern reden wir mit einem jungen Bauern. Der Hofladen ist geschlossen, das Restaurant wegen Krankheit ebenso. Die Treppenstufen zur Kirche hoch hätten wir uns auch sparen können. Die Kirche war übrigens vor dem Bau der Elisabethkirche im 13. Jahrhundert die Stadtkirche von Marburg.
Oberweimar, Kirche
Wir kommen heute schon kurz vor eins in unserer Unterkunft an, einer geräumigen Airbnb Einliegerwohnung im Parterre, der Schlüssel liegt im Kasten und wir erholen uns den Rest des Tages im trockenen Warmen.
Lied des Tages: La Gadoue (Serge Gainsbourg)
Hier der Etappenüberblick über unsere Wanderung auf dem Elisabethpfad von zu Hause in Niederhöchstadt nach Marburg zu Ostern 2024.
Umweg durch den Wald Treckerspuren, Pfützen, Matsch Eine Rutschpartie
Ich wache morgens um halb sechs nach 7 1/2 Stunden Schlaf auf. Ein schon lange nicht mehr dagewesenes Gefühl der Ausgeschlafenheit macht sich breit. Irgendwann holt sich der Körper, was er braucht.
Wir frühstücken unten in der Gaststube und quatschen dabei mit dem Gastwirt. Er ist zwischen den beiden deutschen Staaten aufgewachsen. Beim Opa im Osten verbrachte er viel Zeit. Im Gegensatz zu seinen Eltern wurde er bei den Grenzübertritten nie kontrolliert. Vitamin B. Es hört sich so an, als hätte die innerdeutsche Grenze für ihn nie existiert. Später machte er eine Fleischerlehre und war bei der Bundeswehr in der Garnisonsstadt Wetzlar Feldwebel der Küche. Eine Zeit, die er nicht missen möchte. Er scheint das Bedürfnis zu haben, uns das zu erzählen, wir haben nicht danach gefragt.
In Fellingshausen kaufen wir im Bäckerladen Brötchen und Leberwurst für unterwegs. Vor der Kirche und oben im Wald fallen die liebevollen Arrangements mit Osterhasen, Ostereiern und Grün auf. Ein heruntergefallenes Ei im Wald hängen wir wieder auf. Die Namen der Familien stehen daneben.
Fellingshausen, Osterarrangement vor KircheFellingshausen, weiße MagnolieFellingshausen, Osterarrangement im Wald
Der Weg führt uns im Streichen durch den Wald, den Abstecher zum 500 m hohen Dünsberg mit der TV-Antenne sparen wir uns wegen des miesen Wetters, heute regnet es noch etwas mehr als gestern, sonnige Abschnitte sucht man vergebens. Außerdem macht der Biergarten, der uns in Wetzlar im Hotel empfohlen worden war, erst nachmittags auf.
Von einem Waldparkplatz begrüßen uns Einheimische und wünschen uns aus der Ferne einen guten Weg. Es geht nun auf sehr matschigem Pfad umständich durch den Wald, wir verlieren kurzzeitig den Weg und kommen in Krumbach an, wo die Kirche geschlossen ist. Neben der Trauerhalle auf dem Friedhof stehen überdachte Bänke, wo wir unsere Apfelpause machen.
Zwischen Krumbach und Kirchvers
Hinter Krumbach geht es wieder in den Wald, eine Schutzhütte mit einer schönen Sicht auf Wald, Wiesen und Felder lädt uns ein. Allerdings sind die Bänke so eng an die Tische gebaut, dass man sich kaum an sie setzen kann. Man merkt förmlich wie unmotiviert die Handwerker beim Bau gewesen sein müssen.
Kirchvers, romanische Kirche
Auch in Kirchvers ist die Kirche geschlossen. Versperrte Türen werden uns den ganzen Tag begleiten. Hier schmieren wir uns auf einer Bank im Wohngebiet unsere Leberwurstbrötchen. Die ganze Zeit über bellen zwei Hunde auf einem von uns nicht einsehbaren Nachbargrundstück vor uns. Auch von dem Hundegebell kriegen wir heute noch mehr als genug. Ich versuche immer, auf die Tiere einzureden und sie zu beschwichtigen, das führt aber eher selten zum Erfolg.
In Weipoltshausen rufe ich beim Heimatmuseum an, wo Dokumente und ein Film zu Elisabeths Leben zu sehen sind. Es meldet sich die Tochter, die Mutter arbeitet noch, das Museum wird erst 18 Ubr geöffnet. Schade, dabei hätten wir heute Zeit gehabt.
Es ist noch Heu da!
In Altenvers gibt es die einzige Hufeisenkirche – Apsis in Hufeisenform – Deutschlands. Ich rufe drei Nummern aus dem Pilgerführer bzw. Internet an. Es geht niemand ran bzw. ich höre „Kein Anschluss unter dieser Nummer.“ Auch die beiden Nachbarn, die einen Schlüssel haben sollen, öffnen nicht bzw. sind in Urlaub.
Die kleinen Orte voller Fachwerkhäuser sind zwar schön und schnucklig, aber auch ziemlich verlassen, man möchte hier nicht tot überm Gartenzaun hängen.
Altenvers, Hufeisenkirche
Im Wald hören wir knackende Äste. Ein dunkelbraunes Eichhörnchen rast einen Baum hoch, zwei Rehe ergreifen die Flucht.
Der Weg heute eher eine Zumutung, wir haben Glück und fallen nicht in den Modder, in wenigen Fällen haben wir aber auch bessere Alternativen gefunden.
Von Fahrspuren zerfurchter Weg im Wald
Heute Nacht schlafen wir in einer Ferienwohnung in Lohra 2 km abseits des Elisabethpfads westlich von Damm. Der Hausherr ist sehr nett und erklärt uns alles, bittet um eventuelles Feedback, da er betriebsblind sei. Als Gruß des Hauses gibt es neben Mineralwasser und dem Gummibärchen-Betthupferl Rotkäppchen-Sekt. Der Preis für die Unterkunft ist sehr moderat.
Wir essen im einzigen Restaurant im Ort. Meine Dorade ist riesig. Ein eher misslungener Wandertag findet ein versöhnliches Ende.
Hinterländer Platt
Hier der Etappenüberblick über unsere Wanderung auf dem Elisabethpfad von zu Hause in Niederhöchstadt nach Marburg zu Ostern 2024.
Fachwerkkleinode Der April macht, was er will Pause gibt Power
Der Tag beginnt mit einem fürstlichen Frühstück im Hotel, dem bis dato Besten auf der Wanderung. Die Hintergrundmusik wird von einem mir unbekannten Radiosender bestritten und sie spielen It’s My Life von Talk Talk, es gibt wenige Lieder, die morgens bessere Laune machen. Auf Englisch würde man sagen uplifting.
Wir gehen auf demselben Weg hinunter in die Altstadt, dort dann den Avignonpark runter, wo ein toter Steinkrieger zum Gedenken ruht.
Wetzlar, Kriegsdenkmal
Im Jerusalemhaus hatte sich das Vorbild für den Werther am 30.10.1772 im 2. Stock mit einer Pistole erschossen, das Bild fehlte uns noch in der Sammlung.
Wetzlar, Jerusalemhaus
Wir gehen durch die Fußgängerzone, kaufen Proviant ein, holen uns den Pilgerstempel im Dom und bewundern die schöne Altstadt von Wetzlar. Auch wenn es sicher weniger Fachwerkhäuser als in Celle (s. Heidschnuckenweg) sind, so sind sie mindestens genauso beeindruckend.
Wetzlar, JugendstilfensterWetzlar, Fachwerkhäuser
Über die Lahnbrücke geht es hinaus aus der Stadt, bald überqueren wir noch die Dill, die in Wetzlar in die bedächtig dahinfließende Lahn fließt, an der wir dann später, nachdem wir eine unübersichtliche Straßenkreuzung durch eine Unterführung unterquert haben, noch ein Stückchen lang nach Westen gehen.
Wetzlar, LahnbrückeWetzlar, Malerei in Unterführung
Der Weg steigt nun an zum Kloster Altenberg. Meine Beine sind schwer. Das Wetter ist heute wechselhaft, der Jahreszeit entsprechend. Wolken türmen sich auf, es regnet immer wieder in kleinen Schüben, dann kommt die Sonne raus. Der April macht, was er will. Auch die Temperaturen sind normal, auf jeden Fall nicht zu warm, meine Hände sprechen da eine eindeutige Sprache.
Auf dem Weg zum Kloster Altenberg
Am Kloster Altenberg machen wir eine Obstpause. Hier haben sie den Freistaat ausgerufen. Das Mutterhaus der Diakonissen war in Königsberg, nach dem Krieg gab es einen Neuanfang in Berlin und schließlich den Neuaufbau des Klosters hier. Das Kloster ist geschlossen, dafür haben wir eine gute Sicht. In der Ferne zeichnet sich im Südwesten der Limburger Dom in 35 Km Luftlinie Entfernung ab.
Im Kloster Altenberg machte Elisabeth mit der zweijährigen Gertrud – von Marburg kommend – 1229 Station. Gertrud wurde dort von den Prämonstratensern erzogen, wurde später Chorfrau, trat in die Fußstapfen ihrer Mutter, indem sie Siechenhäuser gründete und ist hier begraben.
Blick vom Kloster Altenberg
Nach diesem Abstecher geht es jetzt wieder nach Osten über zum Teil matschige Wege. Um uns ein weißes Blütenmeer, der Weißdorn blüht. Wir gehen kurzzeitig auf einer Bergwerksroute, hier wurde früher Eisenerz abgebaut. Vor uns ein großes Fabrikgelände, es ist von Buderus Edelstahl. Ein am Straßenrand parkender litauischer Lkw-Fahrer entgegnet unseren Gruß nicht. Der Weg an der Straße wegen des Schwerlastverkehrs weder schön noch ungefährlich.
Weißdorn
In Hermannstein halten wir in einem Café draußen unsere Mittagsrast. Es ist Halbzeit sowohl was den Tag auch, was die Wanderung insgesamt angeht. Wir passieren die 1377 vom Landgrafen von Hessen erbaute Wehrburg gegen die Grafen von Solms. Nach der Pause sind die Lebensgeister wieder da, die schweren Beine plötzlich federleicht.
Wir haben etwas Schwierigkeiten hier wieder auf den Weg zurück zu kommen, der nicht direkt an ihr vorbeiführt.
Burg Hermannstein
Nun verschlechtert sich das Wetter wieder, es fängt an, zu regnen. Vor uns geht eine junge Frau, die wir langsam überholen, links von uns ist ein riesiger Steinbruch. Der Weg geht abwechselnd durch Felder, Wiesen und Wald. Auf einer Wiese vor einem Hochstand laufen zwei Rehe flink rechts hoch in den Wald, als ahnten sie, dass das eine für sie gefährliche Stelle ist.
Wir machen eine Trinkpause bei einer Schutzhütte, von denen es hier so einige gibt. Der Weg ist immer wieder sehr matschig, selbst unter den Blättern kann es sehr rutschig sein.
Genug Pilze fürs Omelette!?
Was die Markierungen angeht, habe ich zunehmend das Gefühl, dass so und so viele Plaketten vorliegen und die so schnell wie möglich angebracht werden müssen, völlig egal wo.
Wir kommen nun zu einer Kreuzung von sechs Wegen. Ein älterer Jogger kommt uns in gemächlichem, gleichmäßigen Tempo von der anderen Seite die Steigung hoch entgegen. Hier stand bis 2002 die riesige, um die tausend Jahre alte Dicke Eiche, die am Ende an Altersschwäche zusammenbrach.
Hier findet seit 1878 bei schönem Wetter – zuletzt zu Christi Himmelfahrt – ein Waldgottesdienst statt. Es ranken sich diverse Legenden um den Baum, die meist um einen in der Nähe lebenden Einsiedler kreisen.
Dicke Eiche in VerwesungGedicht zum Tod der Dicken Eiche von Klaus Jung
Von hier geht es abwärts zu den paar Häusern von Haina (Rosenwunder) und dann durch Bieber. Es ist nun nicht mehr weit zu unserem Zielort Fellingshausen, wo uns unsere Gastwirtin kurz vor sechs schon erwartet. Sie hat exakte Vorstellungen, was das Essen angeht (Hackbraten mit Bratkartoffeln und Salat) als auch, was das Timing betrifft. Wir haben gerade eine halbe Stunde Zeit, uns frisch zu machen, bevor das Mahl beginnt. Die beiden Gläser erfrischend kühle Urweisse sorgen für die nötige Entspannung nach der doch recht anstrengenden Etappe.
Hier der Etappenüberblick über unsere Wanderung auf dem Elisabethpfad von zu Hause in Niederhöchstadt nach Marburg zu Ostern 2024.
Freund, so du etwas bist, so bleib doch ja nicht stehn: Man muß aus einem Licht fort in das andre gehn.
Angelus Silesius
Gut ausgeruht starten wir mit grünem Tee und dem „Osterlammkuchen“ mit Zitronengeschmack in den Tag. Draußen regnet es. Der Wetterbericht verheißt keine Besserung. Allerdings werden wir Glück haben, ein wirklicher Schauer wird uns erspart bleiben, die paar Regentropfen können uns nicht aus der Bahn werfen.
Cleeberg, Hof Jagdhaus
Auf dem Hof gibt es momentan rund 50 Pferde, die dort zur Pension sind. Offenbar ein gutes Geschäft für beide Seiten. Auch bei Wind und Wetter sind die Pferde draußen. Aber Ställe gibt es natürlich auch.
Cleeberg, Hausinschrift
Wir gehen an der Straße hinab nach Cleeberg, einen schönen Fachwerkort mit Burg und Dorfkirche. Lokale oder Geschäfte sucht man vergeblich bzw. haben inzwischen zugemacht, Die Leute, die hier wohnen, sind entweder Rentner oder arbeiten in Wetzlar, Gießen oder Butzbach und schlafen hier.
Cleeberg, Kirche
Wir kommen bald in den Wald oberhalb von Cleeberg. Die Wege sind weich, aber noch ganz gut begehbar. Bald kommen wir zum Napoleonstock, wo Teile des französischen Heeres beim Rückzug vorbeigekommen sein sollen.
Es geht ein Stück an der Straße entlang, dann nach rechts über eine Wiese in Richtung der Felder. Über uns zwitschern mal wieder die Feldlerchen ihr charakteristisches Lied, man sieht sie nicht, sie sind oberhalb der tief hängenden Wolken. Wir schrecken die kleinen Goldammern mit dem gelben Kopf auf, die auf den Feldern sitzen und vor uns wegfliegen.
Auf dem Weg nach Volpertshausen
Wir verpassen einen Abzweig und gehen versehentlich Richtung Vollnkirchen, das plötzlich vor uns liegt, bemerken den Fehler aber schnell.
In Volpertshausen kommen wir am Heimatmuseum vorbei, wo Goethe am 9.6.1772 bei einer Ballnacht die Bekanntschaft der bereits verlobten Charlotte Buff machte, was ihn nicht davon abhielt, doch sein Glück bei ihr zu versuchen. Das Ergebnis kennen wir, die Leiden des jungen Werthers.
Volpertshausen ist heutzutage in der Gegend bekannt für seine italienische Eisdiele, wo wir uns bei einem Cappuccino und Apfelstrudel mit Vanilleeeis aufwärmen.
Hinter Volpertshausen fängt es nochmal etwas zu regnen an, aber wir kommen relativ trocken bis zum Klinikkomplex am Ortseingang von Wetzlar, wo zum Regen auch noch Wind kommt.
Eine kleine Odyssee durchs Gewerbegebiet nebst Baustelle führt uns gegen 14h30 zu unserer Unterkunft, einem großen Hotel in moderner, kubischer Architektur. Wir bekommen zwei Eintrittskarten für das Leitz-Museum nebenan, die wir nicht nutzen. In Wetzlar werden weiterhin Kameras von Leica in einer Manufaktur nahebei gefertigt.
Ich begebe mich bald in die geräumige Sauna mit Blick auf die umliegende Landschaft im 4. Stock, da der Regen sich jetzt wieder intensiviert hat. In der Sauna, die rund 85 Grad heiß ist, verbrenne ich mir die Füße, da der Boden doch tatsächlich gefliest ist.
Gegen halb fünf gehen wir die knapp drei Km bergab ins Zentrum. Die Sonne kommt nun vor uns im Westen raus und verschönt uns den Abend.
Wetzlar, Säuturm
Durch den einzigen von der Stadtmauer erhaltenen Turm geht es in die sehenswerte Altstadt.
Wetzlar, „Escherkunst“ mit Angelus Silesius Weisheit
Goethe hat hier am Reichskammergericht, dem damals höchsten Gericht, ein Praktikum absolviert, sich aber wenig für die Jurisprudenz erwärmt und stattdessen lieber gefeiert. Das Vorbild für den Werther war Karl Wilhelm Jerusalem, ein Bekannter Goethes, der sich am 30.10.1772 wegen einer unglücklichen Liebe in Wetzlar erschoss. Das Jerusalemhaus, wo dies geschah, kann man besichtigen.
Direkt am Marktplatz liegt der Wetzlarer Dom, eine in verschiedenen Stilen erbaute Kirche. Ein Grund hierfür war der Bankrott der Stadt 1370. Der Dom wird bis heute von Katholiken und Protestanten gleichzeitig genutzt.
Wetzlar, Dom
Wir begeben uns zur urigen Rathausschänke, wo wir oben an einem Zweiertischchen den Blick raus auf den Markt und runter zum Tresen haben. Wir stärken uns mit Schnitzel und Weißbier, das Lokal ist gut besucht und die Bedienung fix.
Wetzlar, Ratsschänke
Zurück geht es wieder die knapp drei Km hoch zum Hotel, wo wir bald in den wohlverdienten Schlummer fallen.
Hier der Etappenüberblick über unsere Wanderung auf dem Elisabethpfad von zu Hause in Niederhöchstadt nach Marburg zu Ostern 2024.
Die Vorhut: Reiter Die Magnolie blüht auf Smalltalk mit Schäfer
Die erste Nacht recht kurz, die Matratzen zu weich, gegen halb drei mitten in der Nacht kommen Gäste, Türen werden geschlagen. Das Frühstück ausgiebig, u. a. mit viel Paprika, die Pensionsmutter Ungarin; sie sorgt sich ausgiebig um unser Wohl.
In Neu-Anspach habe ich keinen Erfolg, was den Pilgerstempel angeht. Im evangelischen Gemeindezentrum wird gerade die Musikeinlage für den Ostergottesdienst geprobt, ich werde an die katholische Kirche verwiesen, die geschlossen ist. Der Elisabethpfad ist übrigens ein ökumenisches Projekt, das scheint vielen nicht klar zu sein.
Schon gestern fiel es mir auf, heute aber noch deutlicher. Die meisten Leute, die man auf dem Weg trifft, egal ob alt oder jung, egal ob Männlein oder Weiblein, egal ob zu Fuß oder mit dem Rad sind nett und grüßen bzw. bedanken sich, wenn man Platz macht. Das ist schon recht auffällig.
Hinter Neu-Anspach, Blick zurück zum Taunus
Das Wetter heute phantastisch, die Sonne kommt im Laufe des Tages immer mehr raus, es sind bestimmt 15 Grad. Der Weg ist allerdings häufig matschig, es hat über Nacht geregnet. Regenwürmer scheinen aus dem Asphalt zu wachsen. Es geht über einen noch nicht fertiggestellten, noch zu asphaltierenden Weg, wir haben nach einer Weile schwere Lehmklumpen an den Füßen. Außerdem treffen wir häufiger auf Reiter, der Elisabethpfad wird hier auch als Reitweg genutzt, entsprechend tief ist das Geläuf.
Hinter Neu-Anspach, tiefes Geläuf
Immer am Waldrand entlang geht es nach Usingen, der Weg zieht sich etwas, wir kommen scheinbar kaum voran. Im Wald ein Bauwagen mit Rastbank. Hier haben sich Kindergartenkinder ausgetobt.
Vor Usingen im Wald, OstereierVor Usingen im Wald, Rastplatz
In Usingen blühen die Magnolien. Der Besitzer sagt uns freudig, dass sein Baum pünktlich zu Ostern angefangen hat, seine Blütenpracht zu entfalten.
Usingen, Magnolie
In der evangelischen Kirche bekommen wir endlich den ersten Stempel bzw. so etwas Ähnliches. Ich frage die Küsterin und sie gibt uns zwei Aufkleber, die wir in den Pilgerausweis kleben können. Anscheinend werden die Stempel gelegentlich mitgenommen. Es ist eine schöne, schlichte Kirche mit den Konterfeis der 12 Apostel, die an der Empore angebracht sind.
Als wir aus der Kirche heraustreten, läuft uns der Pfarrer hinterher. Er fragt nach unserem heutigen Ziel und meint, das wäre ja noch ein gutes Stück.
Eschbacher Klippen
Von Usingen geht es weiter ins nahegelegene Eschbach und dann hinauf zum Bergkamm zu den ca. 12 m hohen Eschbacher Klippen aus Quarzgestein. Hier sind einige jüngere Kletterer dabei, sich angeseilt den Felsen langsam hochzuarbeiten.
Wir machen hier eine Pause auf einer Rastbank, wo wir Catherines leckeren Zitronenkuchen futtern, eine Gastwirtschaft gibt es hier nirgends. Neben uns Holz, das wie für ein Osterfeuer aufgeschichtet ist, die Einheimischen nennen es „Hexenhäuschen“.
Eschbacher Klippen, „Hexenhäuschen“
Nun geht es ein längeres Stück mitten durch den Wald. Der Weg wird später etwas unwegsam, ist von umgekippten Bäumen versperrt, die man umgehen kann. Am Wegrand blüht es weiß. Erst eine, dann drei, dann ganz viele Blüten. Das Auge ist erfreut.
Buschwindröschen
Wir kommen nun bei Hasselborn zur Bahnlinie, wo eine lokale Kleinbahn des RMV fährt. Parallel zu den Gleisen kommen wir zu dem Anglerparadies Kuhschwanzweiher. Hinter der Bahnunterführung sehen wir, wer die Ursache für die lauten Tiergeräusche ist, die wir unten von der anderen Bahnseite vernommen haben. Es ist eine riesige Schafherde – ca. 500 Tiere – mit vielen putzigen Lämmern. Wir sprechen mit dem jetzt schon dunkelbraunen, wettergegerbten, älteren Schäfer. Sie sind zu zweit. Der Jüngere sieht ziemlich verwegen aus mit seinem breitkrempigen, dunklen Hut, assoziiert den schweigsamen Cowboy. Einen der drei Hütehunde streicheln wir ausgiebig.
Beim Kuhschwanzweiher hinter Brandoberndorf, Schafherde
Es geht nun erstmal weiter an der Bahnlinie lang, dann unterhalb einer Kuhweide zum Wald. Die Markierungen übrigens immer auf offener Strecke gut, wenn man sie nicht braucht, aber wehe es gibt einen Richtungswechsel, den kann man als kompetenter Wanderer ja locker antizipieren. Gut, dass ich die Wander-App habe.
Im Wald erwartet uns ein längerer Anstieg, der nicht enden will. Wir fiebern dem Ende der Etappe entgegen. Kurz nach halb sechs kommen wir völlig erschöpft an unserem Ziel an. Es begrüßt uns ein gutmütiger Leonberger, der uns ausgiebig beschnüffelt. Wir nächtigen heute auf dem Hof Jagdhaus im Wald 1 km von Cleeberg. Ein Viergenerationenhof, unter uns wohnen die Großeltern. Es ist ein Reiterhof, Hühner gibt es natürlich auch.
Da auch in Cleeberg alle Esslokale für immer geschlossen haben, versorgen wir uns im Hofladen mit Eiern, Nudeln und Chili con carne mit Huhn und bereiten dies in unserer offenen Küche dann zu einem Festmahl zu.
Cleeberg, Hof Jagdhaus, Hofhund
Hier der Etappenüberblick über unsere Wanderung auf dem Elisabethpfad von zu Hause in Niederhöchstadt nach Marburg zu Ostern 2024.
Leute mit Hunden Auf schmalem Pfad hoch hinaus Eine Rehherde
Ciao casa!
Gegen 9h20 sind Catherine und ich soweit und es kann losgehen mit dem Elisabethpfad Teil 2, dieses Mal direkt von zuhause, also Niederhöchstadt, nach Marburg. Wir haben eine Woche Zeit. Das Wetter ist bedeckt, die Temperatur bei elf Grad. Im Laufe des Tages werden sogar 15 Grad erreicht, vom angekündigten Saharastaub kriegen wir allerdings nichts mit, auch wenn es etwas diesig ist. Im Südosten sieht man die Frankfurter Skyline in ca. 10 km Luftlinie Entfernung. Regnen wird es nicht. Anfangs treffen wir am heutigen Karsamstag nur Leute mit Hunden, das ändert sich später.
Oberhöchstadt, Blick auf Frankfurt
Wir stoßen nach ca. 40 Minuten auf den Elisabethpfad im Wald unweit der Tennisplätze an der Straße von Steinbach nach Oberhöchstadt. Es geht am Waldrand entlang, links von uns eine große Pferdekoppel, der Weg steigt leicht an. An einer Fußgängerampel überqueren wir die B455, die Bundesstraße, die den Taunus von Westen nach Osten durchzieht. Auf der extra für uns angelegten Rampe an der Nordseite, die uns wieder in den Wald führt, treffen wir auf zwei Schnecken, deren stetiges Dahingleiten wir uns zum Vorbild nehmen wollen.
Eile mit Weile!
Nach etwa 2 Stunden kommen wir zum Informationszentrum Hohe Mark, wo schon so einiges los ist, insbesondere die Mountainbiker machen hier eine Rastpause. Wir trinken draußen einen Cappuccino und essen eine Kleinigkeit, Catherine einen Salat, ich Bratkartoffeln. Über eine Fußgängerbrücke geht es erneut über die L3004, hier haben um die Zeitenwende die Kelten gelebt, es wurden Überreste ihrer Siedlungen und ein Grab gefunden. Tacitus hat den Taunus in seinem Büchlein Germania erwähnt, auch wenn unklar ist, ob er damit exakt dasselbe Mittelgebirge wie wir heute meinte. Der Taunus hieß bis vor nicht so langer Zeit die Höhe, daher der Zusatz zu vielen Ortsnamen wie z. B. Bad Homburg vor der Höhe. Wir kommen an hohen, immergrünen Bäumen mit einer sehr charakteristischen, zerfurchten Rinde vorbei, es sind Lebensbäume (Thuja).
Elisabethenstein
Wir gehen hier ein Stück auf der Elisabethschneise, die 5 km vom Jagdschloss der Landgräfin Elisabeth (19. Jahrhundert) vor den Toren Bad Homburgs bis zum Sandplacken am Limes verläuft. An der Seite der nach ihr benannte Elisabethenstein, eine Felsformation, die direkt auf dem Weg liegt und teilweise gesprengt wurde. Man beachte, diese Elisabeth hat nur den Namen gemeinsam mit der mittelalterlichen, heiligen Elisabeth, die in Marburg begraben ist.
The Borkenkäfer was here…
Im Wald immer wieder große Kahlschlagsflächen und entwurzelte Bäume. Für den Borkenkäfer ein gefundenes Fressen.
Schnurgeradeaus, der Weg ist nicht zu verfehlen
Die Wege gehen oft geradeaus bis zum Horizont. Man meint, es sind vor und hinter einem in unmittelbarer Nähe andere Wanderer, die in Wirklichkeit hunderte Meter entfernt sind. Diese Wegführung demotiviert etwas, da man meint, nicht vorwärts zu kommen.
Fingerhut
Catherine macht mich darauf aufmerksam, dass große Flächen mit Fingerhut bewachsen sind. Das wird später im Jahr dann ein blaues Blütenmeer im Wald ergeben.
Marmorstein
Links vom Hauptweg geht es nun fast querfeldein hinauf zum Marmorstein mit diversen auffälligen Steingruppen. Wir erreichen mit 580 Meter das Dach dieses Elisabethpfades.
Verblichene Markierung
Der Weg ist bis jetzt relativ gut markiert, auch wenn die rote Farbe teilweise verwittert ist. Er verläuft meist auf diversen lokalen Wanderwegen.
Viele Bäume hat es erwischt
Auf den Kahlschlagsflächen wird teilweise wieder aufgeforstet. Mischwald lautet die Zauberformel, die den Wald dem Klimawandel gegenüber resilienter machen soll.
Plötzlich führt uns die Markierung rechts ab vom Hauptweg steil bergab, gut, dass wir die Wanderstöcke dabei haben. Catherine ist bald weit vor mir. Wir kommen im Hessenpark an, einer Ansammlung historischer Gebäude, die man hergerichtet hat zu Besuchszwecken.
Hessenpark, Marktplatz
Hier leisten besorgen wir uns in der Bäckerei Kaffee und Käsekuchen und setzen uns zu einer Drei-Generationen-Familie mit Hund. Catherine kauft sich außerdem ein Brillenetui aus Nussholz, das in den Oberurseler Werkstätten hergestellt wurde.
2. Weltkrieg, Birkenkreuze für gefallene Wehrmachtsoldaten in Russland
In einem anderen Haus ist eine Ausstellung zu russischen Kriegsgefangenenlagern. Es sind Alltagsgegenstände ausgestellt, häufig Zigarettenutensilien und Schachspiele. Auch die Madonna von Stalingrad von Kurt Reuber azs Wuxhmannshausen (s. Bericht von ersten Elisabethpfad) ist hier ausgestellt, zudem ein Bild von Weihnachten in Workuta, wo eingefallene Gesichter im Kerzenschein am Tisch sitzen.
Viel Zeit zum Schachspielen in Workuta
Auch der Heimkehr der Zehntausend 1955 wird gedacht, die auf der Strecke von Herleshausen nach Friedland von Menschenmassen am Straßenrand willkommen geheißen wurden.
Heimkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft 1955
Wir haben jetzt noch knapp 4 km nach Neu-Anspach, wo wir in einer recht gut ausgelasteten Pension übernachten werden. Auf dem Weg durch die Felder zwitschern über uns die Feldlerchen. Die ersten gelben Rapsblüten strecken ihre Köpfchen hervor. Rechts von uns erstreckt sich der Segelflugplatz. Auf der Wiese äst eine Gruppe von sechs Rehen.
Abends essen wir gut und preiswert in einem asiatischen Imbiss. Nach der deliziösen süß-sauren Pekingsuppe nehme ich Bami Goreng, ein Lieblinsgericht aus meiner Jugend, Catherine gebratene Garnelen mit Gemüse und Reis.
Hier der Etappenüberblick über unsere Wanderung auf dem Elisabethpfad von zu Hause in Niederhöchstadt nach Marburg zu Ostern 2024.
So leicht wie heute wirst du lange nicht mehr sein Steig so viel du kannst!
Heute die letzte Etappe. Frühmorgens bin ich etwas kurzatmig, wahrscheinlich wegen der Fettverbrennung. Ein Frühstück nach Maß. Eine Thermoskanne mit 0,75 l grünem Tee und Orangensaft, mehr kann man von einem Frühstück nicht erwarten (als Saftfastender).
Komme ins Gespräch mit der Hotelierin. Sie und ihr Mann kommen aus Friesland an der dänischen Grenze. Sie redet über ihre Tochter, die sich auf eigenen Wunsch mit 14 hat taufen lassen, ich rede übers Wandern. Es gibt eigentlich nur wenig direkten Bezug, aber es ist ein absolut befriedigendes Gespräch, wir hören uns gegenseitig zu. Immer wieder dieses schöne Gefühl, wenn man sich selbst öffnet, öffnet sich der andere auch.
Draußen ist es etwas ungemütlich, 5 Grad, diesig und feucht. Egal, da muss ich jetzt durch. Zumindest geht es erst einmal ein langes Stück bergab. Diese mystische Stimmung aufgrund des wabernden Nebels. Ich liebe sie.
Der Weg ist sehr angenehm zu gehen, erst asphaltiert, dann ein Schotterweg, der ein reiner Wiesenweg wird.
Zwischen Amöneburg und Kleinseelheim
Im Hintergrund hört man ganz leise Verkehr. Langsam hebt sich der Schleier des Nebels. Die äußeren Umrisse der Bäume werden sichtbar.
Die Kirche in Kleinseelheim ist leider verschlossen, Gottesdienste – heute ist immerhin Sonntag – scheinen in der Gegend Mangelware zu sein.
Ich komme zum Elauer Wäldchen, wo früher Leinfasern produziert wurden. Dies benötigte viel Wasser und endete mit dem Wüstfallen von Elau.
Direkt dahinter der Klenseelemer Scheferboen. Bis 1976 gab es hier einen Gemeindeschäfer, dessen Vater 1900 zwei Robinien pflanzte und zehn Jahre später einen 4,50 m tiefen Brunnen aushob, um die Schafe zu tränken. Dieser Brunnen war vergessen und voller Unrat und wurde 2010 durch eine Privatinitative wieder hergerichtet.
Hinter Kleinseelheim: Der Schäferbrunnen
Ich laufe hier auf einem Wiesenweg zwischen den Äckern, hoch über mir das Zwitschern der Feldlerchen, ein sehr angenehmes Hintergrundgeräusch.
Am Elisabethbrunnen eine Frau, die von der gut sprudelnden Quelle trinkt. Es hängt dort zwar ein „Kein Trinkwasser“-Schild, aber sie sagt mir, das Wasser würde nur nicht regelmäßig kontrolliert, wäre aber einwandfrei. Ich tue es ihr gleich und muss mich ziemlich tief hinunterbücken. Das Wasser ist eisig und nur in kleinen Schlücken zu genießen. Eine schöne Erfrischung.
Elisabethbrunnen
Ich komme nach Schröck. in der katholischen Barockkirche eine ausführliche Infomappe für Pilger sowie Konserven und Essbares.
Schröck, katholische Kirche: In der Tradition von Elisabeth
Es geht nun an einer stark und schnell befahrenen Straße und durch eine etwas unübersichtliche Wegführung über eine Schnellstraße hinweg an der alten Schwerthinrichtungsstätte Rabenstein vorbei zur Fußgängerzone von Weidenhausen mit vielen Fachwerkhäusern. Über die Lahn und ich bin im Zentrum an der Universitätskirche, gehe durch den alten botanischen Garten. Dort schaue ich zwei Teichrallen beim Hahnenkampf zu.
Marburg, alter botanischer Garten: erste Krokusse
Ich bin jetzt am Ziel meiner Pilgerwanderung, der Elisabethkirche in Marburg, angelangt. Sie ist die früheste rein gotische Kirche Deutschlands. Der Grundstein wurde 1235, nur 4 Jahre nach Elisabeths Tod gelegt. Leider wird der Chorraum saniert und weder das Grab Elisabeths noch die Jesusfigur von Barlach sind zugänglich. Dafür kann man den Goldenen Schrein mit vier Szenen aus ihrem Leben sehen.
Anschließend trinke ich in einem netten Studentencafe noch zwei frische Minztees und mache eine Altstadtführung rauf und runter durch das Gassengewirr bis hoch hinauf zum Schloss auf den Spuren der Gebrüder Grimm. Eine sehr amüsante Schnitzeljagd, wo man genau hingucken musste, um die Motive aus den Märchen zu finden. Der langsam zunehmende Nieselregen tat meiner Entdeckungslust keinen Abbruch.
Marburg, Rathaus, hier war ich schon einmal vor über 40 Jahren auf einer Deutschlandradtour mit einem Vetter von mir gewesenMarburg, Grimmpfad: Das tapfere SchneiderleinMarburg, Grimmpfad: SchneewittchenMarburg, LandgrafenschlossMarburg, Grimmpfad: Hänsel und Gretel, schwer zu finden, an einem Spielplatz
Am Ende eine Karte mit Inspirationen für kommende Wanderungen:
Marburg, Karte mit drei Elisabethpfaden
Und ganz zum Schluss: Auf rund 200 Kilometern habe ich in zehn Tagen 7,5 Kilo abgenommen, also anderthalb Pfund pro Tag. Jetzt geht es ans Fastenbrechen. Der Apfel liegt bereit.
Hier der Etappenüberblick über meine Fastenwanderung auf dem Elisabethpfad von Eisenach nach Marburg im Februar 2024.
Stimmen hinter mir Quietschende Regenjacke Als wärs ein Seufzen
Ein völlig vernieselter Tag, an dem ich mich daran erfreue, dass das Teilstück zum überwiegenden Teil geteert ist, weil ich so dem Matsch entgehe. Außerdem überquere ich die ehemalige Grenze fünfmal. Aber im Einzelnen:
Ich wache schon wieder um 4 Uhr morgens auf, das scheint zur Gewohnheit zu werden. Anschließend fliegen mir Haiku zu und ich schaffe es später noch in den Halbschlaf. Der aktuelle Blick auf den Regenradar – gestern Abend sah es noch ganz anders aus – verheißt nichts Gutes. Am frühen Morgen soll es noch recht trocken bleiben, später alerdings sollen die Niederschläge zunehmen. Als ich das begreife, spute ich mich, verabschiede mich von der Servicekraft, bekomme von ihr noch einen Stempel mit der Burg in all ihrer Pracht in meinen Pilgerausweis und bin um 8h15 auf der Rolle.
Von Creuzburg nach Westen folgen der Jakobsweg und der Elisabethpfad, die oft identisch sind, zwei verschiedenen geteerten Routen. Ich gehe einen dritten Wiesenweg anfangs an der Werra entlang, die mich verblüfft, weil sie von West nach Ost fließt. Flüsse haben eben immer die Tendenz, zu mäandern und nicht direkt auf ihr Ziel zuzufließen. Manchmal geht es dann auch in eigentlich „kontraproduktive“ Richtungen. An der Brücke über die Ifta, die unweit in die Werra mündet, vereinigt sich mein Weg wieder mit dem Elisabethpfad. Es nieselt nun leicht und es geht bergauf bis zur alten innerdeutschen Grenze (1. Überschreitung) im Wald. An der Stelle ist eine Rastbank sowie eine metallene Deutschlandkarte. Quer verläuft der Kolonnenweg, mitten im damaligen Todesstreifen, heute das Grüne Band, dessen 1393 km man komplett abwandern kann.
Ehemalige innerdeutsche Grenze: Kolonnenweg kurz vor Willershausen, heute das Grüne Band
Hinter dem Wald geht es links auf der Straße hinunter nach Willershausen im ehemaligen Westen. Ich besuche die dreischiffige, schlichte Kirche, hole mir einen Stempel und gebe einen kleinen Obolus für die Restaurierung der von Pilzen befallenen Orgel.
In Willershausen ist auch im Februar noch Weihnachten
Die Autokennzeichen sind jetzt natürlich nicht mehr WAK (Wartburgkreis) oder EA (Eisenach), sondern meist ESW (Eschwege). Aus dem Ort heraus gehe ich auf einer Straße nach Norden, die auch wieder ansteigt. Auf der Bergkuppe im Wald ist erneut die alte Grenze (2. Übertritt). Ich bin also jetzt wieder in Thüringen. Es geht auf einem Betonplattenweg bergab, damit die DDR-Panzer schnell an die Grenze fahren konnten. In der DDR ging sehr viel Material wie z. B. Zement an den Grenzschutz und fehlte dann in der Privatwirtschaft. Ich komme in Ifta an und gehe in den Ort rein und damit ca. 300 m über den Wegabzweig hinaus. Das Gasthaus macht zwar eigentlich erst um 15h auf – jetzt ist es 11h – aber die Wirtin, die gerade noch fleißig saubermacht, kocht mir Teewasser und wir kommen ins Gespräch. Sie erzählt mir auf Nachfrage bzgl. der Stimmung von der Verunsicherung der Leute, die nicht genug mitgenommen werden von der Politik, möchte sich selber damit aber nicht auseinandersetzen, hat schon genug zu tun in ihrem Alltag. Das hört sich alles sehr nachvollziehbar an und doch… Nach 45 Minuten breche ich auf. Die Kirche mit dem Himmelszelt an der Decke und dem blutenden Pelikan auf der Kanzel ist geschlossen, heute ist kein Gottesdienst. Jede Kirche, die wertvolle Kunst enthält, ist normalerweise geschlossen.
Ich überschreite auf dem Weg nach Lüderbach ein drittes Mal die Ex-Grenze und bin wieder in Hessen im Werra-Meißner-Kreis. Ich habe heute hier die gesamte, herrliche Landschaft für mich.
Zwischen Ifta und Lüderbach
Ein paar Meter abseits des Wegs gehe ich ein paar glitschige Steinstufen hinunter zum Leprakreuz und stürze fast. Hier war wohl eine Station für aus den Kreuzzügen an Lepra erkrankte Rückkehrer.
Leprakreuz unweit Lüderbach
Kurz vor der Grabespyramide, mache ich einen 1,5 km Abstecher zum Baumkreuz. In der Ferne sehe ich einen Schimmel und zwei Braune mit Reitern, die weiter Richtung Lüderbach reiten. Ich schreibe das, weil ich heute quasi niemand auf dem Weg treffe. Das Baumkreuz ist eine Anpflanzung von Eschen und Linden in Kreuzform, da wo die B7 auf die alte innerdeutsche Grenze trifft. Es ist noch ein langer Abschnitt des damaligen Grenzzauns erhalten. Hier überquere ich die nicht mehr existierende Grenze ein viertes Mal, um gleich wieder zurückzukommen.
Teil des Baumkreuzes – hier Eschen – an der B7 mit altem Grenzzaun
Von hier mache ich noch einen Abstecher hoch zur Grabpyramide, wo der letzte Schlossherr von Lüderbach, Herr von Castellan, der keine Nachkommen hatte, mit seiner Schwester begraben ist.
Lüderbach, Grabpyramide
In Lüderbach ist die Kirche mit dem Schnitzaltar natürlich geschlossen. Ich mache meine Mittagsrast mit Gemüse-, Kirschsaft und Ingwerwasser in einem schmucken überdachten Bushaltestellenhäuschen aus Fachwerk.
Lüderbach, Bushaltestellenhäuschen
Auf gerader Strecke geht es weiter nach Netra, wo die Kirche mit dem Wehrturm leider auch wieder zu ist. Am Ortsausgang steht ein langsan verfallendes Wasserschloss, um das sich niemand zu kümmern scheint.
Netra, Wasserschloss der Familie von Boyneburg
Noch knapp 3 km und ich bin in Röhrda, meinem Tagesziel angekommen. Die Regenjacke und der Rucksackschutz sind zwar nass geworden, aber ansonsten habe ich den Regentag recht trocken überstanden.
Weg vor Röhrda, man sieht die Kirche im Hintergrund
Die Inneneinrichtung der Kirche ist sehr einfach, das Buntglasfenster mit dem auferstehenden Jesus ist ein Blickfang.
Röhrda, ev. Kirche, Buntglasfenster
Ich kehre ein in die Pension Iris, bekomme einen Kräutertee kredenzt und lasse meine müden Knochen etwas zur Ruhe kommen.
Hier der Etappenüberblick über meine Fastenwanderung auf dem Elisabethpfad von Eisenach nach Marburg im Februar 2024.
Gluckerndes Wasser Wärme strömt in den Körper Die Explosion!
Nach der Arbeit nehme ich den Zug von Berlin Hbf nach Eisenach um 15h26. Ich nehme Platz an einem Tisch, es stellt sich heraus, dass der Platz obwohl nichts angezeigt wird auf dem Display, von einem Mädchen reserviert ist, die netterweise darauf verzichtet und sich gegenüber hinsetzt, ich rutsche jetzt zum Fenster, so dass wir Beinfreiheit haben. Die Fahrt ist ereignislos, draußen ist es bedeckt und dämmert so langsam. In Erfurt steigen noch einige Leute zu, der Zug ist recht voll, drei von vier Plätzen an unserem Tisch besetzt.
In Eisenach ist es bereits dunkel um 18 Uhr. Ich gehe unter den Gleisen durch nach Norden. Es geht ein gutes Stück parallel zur Bahn, ich passiere einige Bahnunterführungen. Ich orientiere mich nun etwas nach Norden, es geht bergauf in eine Eigenheimsiedlung. Auf einer Sackgasse nach Westen, wo bei jedem zweiten Haus die Bewegungsmelder anschlagen und mir den Weg beleuchten, komme ich aufgrund der Steigung etwas ins Schwitzen.
Die Straße endet nun und ich komme auf den Weg am Waldrand, den ich mir auf der E-Walk App ausgeguckt hatte. Hier ist es nun stockduster, ich schalte meine Stirnlampe an. Der Boden ist durchgeweicht, es hat anscheinend viel geregnet in letzter Zeit. Momentan ist es allerdings trocken. Der Weg geht schon bald wieder bergab, offensichtlich standen die letzten Häuser, an denen ich vorher vorbeiging, oben auf einer Anhöhe. Der Weg geht leicht auf und ab weiter am Waldrand entlang. Ich sehe vor mir zu meiner Linken das Opelwerk mit einem riesigen, beleuchteten Logo. Hinter dem Werk ist links eine Baustelle mit neuen, noch unbezogenen Häusern. Ich gehe hinab und bin nun in dem Gewerbegebiet von Stedtfeld, wo sich auch meine Unterkunft befindet.
Im Hotelzimmer trinke ich den Rote Bete Saft als Hauptgang und den Orangensaft als Nachtisch. Danach gehe ich in die Sauna, das Thermometer zeigt ca. 20 Minuten nach dem Einstellen über 80 Grad, ich mache einige Aufgüsse und schwitze. Ich bleibe alleine. Die Dusche ist nicht sehr kalt. Nachdem ich mir noch verspätet die Nachrichten auf dem Handy angeguckt habe und bei zwei Talkshows zwischendurch eingenickt bin, lösche ich kurz nach 10 das Licht.
Hier der Etappenüberblick über meine Fastenwanderung auf dem Elisabethpfad von Eisenach nach Marburg im Februar 2024.
Draußen ganz leise klackende Geräusche. Winzige Tropfen fallen auf das Fenstersims. Unglaublich. Es regnet in Berlin. Zwar nur ein paar Tropfen aber immerhin. Seit dem einen WM-Spiel habe ich hier keinen Regen mehr erlebt. Es geschehen noch Zeichen und Wunder.
gestern abend am frankfurter hauptbahnhof warte ich auf gleis neun auf meinen wegen „personen auf den gleisen“ um eine gute halbe stunde verspäteten zug zum berliner ostbahnhof, auf den der db infopunkt netterweise mein ticket umgeschrieben hat, das eigentlich einen umstieg in hannover vorgesehen hatte, den ich aber niemals geschafft hätte weil der zug nach hannover aus demselben grund verspätet war. lese karl, die kulturelle schachzeitschrift mit einem special zum moskauer wm-kampf, die ich mir in der bahnhofsbuchhandlung gekauft habe. ein eher langweiliges match für die hardcorefraktion. ich hebe den blick und sehe mir gegenüber auf gleis acht ein pärchen in einem zug, der gleich abfahren wird, auf den stufen zum wagen stehen. er mit dem rücken zu mir, sie dahinter mit dem gesicht zu mir. sie sind engumschlungen, küssen sich als gäbe es kein morgen. für eine gefühlte ewigkeit. irgendwann gibt der schaffner das pfeifsignal, der junge mann beendet den kuss und steigt aus dem zug, der sich langsam in bewegung setzt. er geht neben dem zug und winkt seiner angebeteten ganz leicht mit der rechten hand zu. der zug beschleunigt, er auch. er rennt parallel zum zug auf ihrer höhe den bahnsteig entlang bis kurz vor seinem ende. so eine schöne filmszene habe ich lange nicht mehr gesehen.
heute morgen auf dem weg zur arbeit: ich bewege mich zu fuß auf den viktoria-luise-platz zu. da kommt ein radfahrer an mir vorbeigeschossen. ich traue meinen augen nicht. auf seinem rücken trägt er seine tochter. sie hat ihre arme um seinen hals geschlungen und hängt da wie ein klammeräffchen. ich schätz mal sie ist 5-6 jahre alt. da gehört schon eine ganz schön gehörige portion von gegenseitigem vertrauen dazu, um so etwas zu machen. bewundernswert.
auf dem weg zum konzert gestern abend rappt ein typ in der u1, ist das jetzt eine neue masche? scheint sich auf jeden fall finanziell auszuzahlen. gleich zwei junge männer geben ihm was. im lido geht es nicht sofort los, die discokugel rotiert so vor sich hin und wirft schattenmuster, die leute quatschen und ich stehe rum und warte. der laden ist übrigens nicht ganz voll, obwohl sie mich draußen gefragt hatten, ob ich noch eine karte übrig habe. irgendwann so gegen halb 10 kommt die band auf die bühne, alle recht jung bis auf den älteren trompeter, ein saxofonist, ein keyboarder, ein drummer, und der sehr britisch aussehende, pilzköpfige bassist mit schlafzimmerblick (erinnert mich an jemand von the who) sowie der dunkelhaarige gitarrist mit südländischen einsprengseln. die beiden geben ein lustiges paar ab, sie wippen oft synchron von links nach rechts und zurück und geben gelegentlich den background choir. nach zwei instrumentalstücken wird der von dem bassisten großspurig mit „welcome to the stage. mister. lee. fields.“ angekündigte sänger auf der bühne unter frenetischem applaus begrüßt. er hat einen leicht goldenen glitzeranzug an, von dem er nach recht kurzer zeit die jacke auszieht, dann das hemd aus der hose nimmt und das hemd aufkrempelt. auf der bühne scheint es mindestens genauso heiß zu sein wie im zuschauerraum. lee fields singt alte songs und songs vom neuen album. das publikum schreit lauter bei den alten sachen, mir gefallen die neuen besser. die alten stücke gehen mehr in richtung james brown, sind weniger melodisch und kruder während die neuen für meine begriffe fast alle ohrwürmer sind, die nach klassischem soul original aus den 70ern klingen. musik, die irgendwie in einem zeitloch festsaß und erst jetzt 40 jahre später wieder hervorgekommen ist. er singt diese lieder auch ganz anders, mit einer sehr viel ruhigeren, souligeren stimme, nicht so animalisch shoutend eher mit einer spirituellen intensität. er ist ein vollblutentertainer, der gerne das publikum ins konzert einbezieht, er sagt geschätzte zwanzig mal, dass er uns liebt, will uns dauernd zum armeschwenken animieren – was auch klappt obwohl mich das entfernt an einen gruß erinnert, den ich in deutschland eigentlich nicht mehr sehen will und lässt die menge als echogeber ins mikrofon grölen. das konzert ist nach ein paar zugaben gegen elf zu ende, für sein fortgeschrittenes alter hat lee fields gut durchgehalten. auf dem rückweg in der u1 wieder eine seltsame begegnung. am u-bahnhof kurfürstenstraße steigt ein junges mädchen – offensichtlich eine prostituierte – mit ihrem zuhälter ein. er redet auf sie ein in einer mir sehr fremden sprache, wahrscheinlich albanisch. sie sagt nix und sitzt einfach nur da. außerdem steigen dort noch zwei alte griechen in den siebzigern ein, die ausgiebig miteinander reden. eine seltsame stimmung macht sich breit. bin froh als alle ausgestiegen sind.
Letzte Woche habe ich es endlich einmal geschafft, länger als zwei Tage ohne Aufnahme fester Nahrung durchzuhalten. Ich hatte es in der Vergangenheit schon diverse Male probiert, war aber immer relativ schnell schwach geworden und hatte dann auch noch den Fehler gemacht, mir anschließend den Magen voll zu schlagen. Der Ausstieg ist so ziemlich das wichtigste beim Fasten, die Verdauungsorgane sollten langsam wieder ihre Arbeit aufnehmen; heute habe ich das Fasten mit einem Apfel gebrochen, als zweites Frühstück eine Banane ganz langsam zerkaut und mir heute Mittag ein Gemüsegericht auf Brokkolibasis gekocht.
Fünf Tage nichts zu essen war einfacher als ich es mir ursprünglich vorgestellt hatte. Immer wenn ich Hunger hatte, habe ich einfach etwas getrunken. Am Tag so um die fünf Liter, davon 3 l Kräutertee und 1 l Wasser. Mittags und abends gab es als Hauptspeise Gemüsesaft bzw. -brühe, der Nachttisch bestand aus einem Obstsaft, den ich mir genüsslich auf der Zunge zergehen ließ. Buchingerfasten also, das Buch, das mich begleitet hat, war Fasten von Hellmut Lützner. So – als Hungerkünstler – hätte ich eigentlich weitermachen können, heute morgen verspürte ich keinerlei Lust auf feste Kost, man kann sich wirklich daran gewöhnen mal eine Weile nichts außer Flüssigkeiten oral zu konsumieren. Ein Ergebnis war der Verlust von sieben Pfunden, wobei das Gewicht die letzten beiden Tage laut Körperfettwaage angeblich unverändert geblieben ist. Die Gewichtsabnahme war allerdings nicht der Grund für die Abstinenz.
Mir ging es eher um ein Abschalten, ein zu mir kommen, eine Periode des Nachdenkens über mich selbst und meinen Weg, den ich gehe. Das ist nicht so richtig gelungen, der Haupteffekt des Fastens war gerade nicht eine Beruhigung, sondern eher eine Aufputschung. Dadurch, dass meine Gedärme für fünf Tage still standen, fühlte ich mich selbst sehr aufgekratzt und hibbelig. Hierzu passt die Beobachtung der den ganzen Tag wiederkäuenden Kühe, deren ausgefeiltes Verdauungssystem ja wohl auch eher beruhigend wirkt. Der Schlaf war eher kurz, ich kam morgens meist deswegen nicht raus weil ich die Wärme nicht gegen die Kälte tauschen wollte, ich hatte übrigens Urlaub genommen, was das Projekt enorm erleichtert hat. Im Arbeitsstress bei dauernd klingelndem Telefon mit Leuten, die etwas von mir wollen, hätte ich wahrscheinlich sehr bald dem Essenstrieb nachgegeben.
Der Körper kennt zwei Energieprogramme. Zum einen das normale, in dem ihm Nahrung zugeführt wird, die er dann in Magen und Darm verarbeitet und in Energie umwandelt, die er für seinen Betrieb benötigt. Bei diesem Programm gehen allein 30% der Energie für die Verdauung drauf, ein Wirkungsgrad, der übrigens gar nicht so übel ist. Zum andern gibt es das Fastenprogramm, in dem die Verdauung ruht und die Energie aus den körpereigenen Reserven – der eigenen Speisekammer – bezogen wird. Alle überflüssigen und giftigen Stoffe im Körper werden in diesem Modus abgebaut. Man muss nur den Schalter zwischen den zwei Programmen umschalten, was am besten durch eine Reinigung der Gedärme eingeleitet wird.
Eine kleine Herausforderung war der Einstieg am Montag. Bei früheren Versuchen hatte ich es mit Glaubersalz versucht, das ist zwar sehr effektiv, aber dadurch wird auch die Innenflora, wie ich sie jetzt mal umschreiben will, vollständig wegschwemmt. Bei mir hat es anschließend immer mindestens eine Woche gedauert bis sich alles wieder intern normalisiert hatte. Nein, dieses Mal habe ich eine auch in dem o.g. Buch als sanfter empfohlene Methode probiert: den Einlauf. Ein entsprechendes Gerät habe ich in der Apotheke für 10 Euro erworben, es besteht aus einem Wassersack, den man z.B. an der Türklinke befestigt, einem daran hängenden Schlauch sowie einem Plastikrohr. Ich glaube, ich brauche das Vorgehen nicht im Detail zu beschreiben, es ist nicht die schönste Erfahrung, es gibt aber auch schlimmere. Auf jeden Fall ist auch dieses Verfahren sehr effektiv, es dauert gerade mal eine Minute bis zur ebenfalls explosiven Entleerung.
Während der Fastentage bin ich relativ viel spazieren gegangen, der Körper will sich einfach bewegen, es ist ein bisschen wie ein zur Ruhe kommen im Gehen. Man fühlt sich auch leichter und beschwingter im Fastenmodus, was ja auch einleuchtend ist. Ich bin allein zweimal von Wilmersdorf in die Nähe des Alexanderplatzes gegangen. Wichtig bei längeren Promenaden war auf jeden Fall, sich Zeit zu nehmen, also auch mal ein Päuschen zu machen, bei dem man sein Wasserfläschchen getrunken hat. Nächstes Mal möchte ich unbedingt Fasten und Wandern noch besser kombinieren, ich denke an Langstreckenwandern, z.B. Jakobsweg von Berlin nach Tangermünde mit 20 Km-Etappen.
Was habe ich sonst so während der fünf Tage gemacht? Ich bin sie eher ruhig angegangen. Habe viel gelesen, viel Musik gehört, war im Kino, wo ich nachmittags in einer Vorstellung, in der ich mit Abstand der jüngste war, The Artist gesehen habe, einen Zombiefilm, in dem die Stummfilmzeit perfekt nachgebildet wird, der aber völlig hohl und leer erscheint, ein symptomatischer Film für unsere Zeit, in der die Nachempfindung vergangener Epochen egal ob in Kunst, Musik oder Film der Hauptzeitvertreib des Mainstreams in den schönen Künsten geworden zu sein scheint. Gegen Ende der Woche habe ich dann endlich unter dem Druck der mir davonlaufenden Zeit etwas mit dem Aufräumen begonnen. Ich habe übrigens überhaupt nicht ferngesehen, hingegen habe ich natürlich jede Menge Zeit im Internet vor dem Monitor des Netbooks verbracht. Sportlich habe ich neben den Spaziergängen ein bisschen mit den Hanteln gearbeitet, etwas jongliert und einmal habe ich mich sogar auf das Ergometer gesetzt, trotz im Verhältnis zum normalen Programm deutlich reduzierter Maximalleistung von 275 Watt, habe ich allerdings nach knapp 20 Minuten abgebrochen, die Atmung war etwas kurz und unregelmäßig, aber der Grund für die Aufgabe lag vor allem im Kopf, ich verspürte keinerlei Lust auf den Kampf mit dem inneren Schweinehund.
Gerüche waren während der Fastenperiode besonders penetrant, das war neben der Aufgedrehtheit und generellen Überempfindlichkeit ein weiterer Grund, wieso ich kaum unter Leute wollte. Zum einen natürlich Essensdüfte, die auch das Wasser eines Fastenden im Munde zusammenlaufen lassen. Am schlimmsten waren allerdings ganz klar die Parfüme und Deos. Die Attacke auf meinen Geruchssinn Kulminierte in der Volksbühne am Donnerstag Abend beim Tindersticks-Konzert. Was da einige Damen aufgetragen hatten, das ging auf keine Hundenase. Wobei ich gerechterweise sagen muss, dass ein Fastender jetzt auch nicht immer nach Rosenwasser riecht, vor allem nicht aus dem Mund, aber lassen wir das jetzt.
Was habe ich im einzelnen zu mir genommen? Da waren neben dem Mineralwasser – ich hatte medium, still war eigentlich empfohlen – natürlich zum einen verschiedene Teesorten, anfangs habe ich mir morgens schwarzen Tee geleistet, das aber bald aufgegeben, als ich gemerkt habe, dass die aufputschende Wirkung noch stärker war als sonst schon. Als Kräutertee habe ich häufig Minze getrunken, auch leicht belebend, gleichzeitig gut für den Atem. Andere Kräutertees waren eher beruhigend wie Rooibos, Zitronengras (gerne mit Minze oder Johanniskraut gemischt) und Süßholz. Ich habe auch oft frischen, in Scheiben geschnittenen Ingwer hinzugetan, dessen reinigende Wirkung sich in der Schärfe manifestierte, die er auf dem Boden der Teekanne entwickelte. Außerdem hatte ich noch einen sehr aromatischen, erfrischenden Früchtetee, der vor allem aus roten Früchten wie Erd- und Himbeeren bestand. Die klare Gemüsebrühe, die ich die ersten Tage in Niederhöchstadt gegessen habe, hatte C gekocht. Sie basierte auf Karotten, Stangensellerie, Tomaten, Porree, Kartoffeln, Brokkoli, Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer, Chili, Thymian und Salz. Die Gemüsesäfte, die ich probiert habe, waren ein gemischter Saft (im Grunde mein Lieblingsgemüsesaft), ein Tomatensaft (auch gut), sowie ein Karottensaft und ein Sauerkrautsaft, die ich beide allein nicht trinken konnte, der eine war zu süß, der andere zu sauer. Aber in der Kombination waren sie genießbar. Schlussendlich noch die Obstsäfte, die ich meist als Nachtisch trank. Sehr lecker war der trübe Apfelsaft von einer lokalen Apfelkelterei, die Süße konnte ich in kleinen Zügen genießen. Außerdem habe ich eine leckere Mischung aus Wasser und Johannisbeersaft zu mir genommen. Morgens trank ich meist mein Gläschen Orangen- bzw. Grapefruitsaft.