Archive for 30. Juli 2009

Mich quälen

Juli 30, 2009

kann ich am besten, wenn ich den ganzen Tag auf der faulen Haut gelegen habe, wenn ich mit mir unzufrieden bin. Wenn ich mich selber genug hasse für meine Nichtswürdigkeit. Dann ist das „an die physische Grenze Gehen“ ein Ersatz für die fehlende sonstige Aktivität. Ansonsten fehlt mir oft der Biss beim Sport. Wie gerade auf dem Ergometer. Bei lächerlichen 280 Watt habe ich nach etwas über 16 Minuten (von 27) abgebrochen. Der Puls war etwas höher als sonst, so um die 168, aber das ist eigentlich noch kein Grund aufzustecken. Vor allem da ich viel besser in Form war als gestern wo ich 275 Watt durchgestanden habe bis zum Ende. Ich sah plötzlich keinen Sinn mehr in der ganzen Aktion. Fand, dass das Handtuch schon nass genug geschwitzt war. Wozu mich bestrafen, wenn ich fast den ganzen Tag ein braver, fleißiger Junge gewesen bin. Und das Schönste bzw. Schlimmste. Dieses zunehmende Biedermanntum meiner Selbst macht mir noch nicht mal was aus. Man gewöhnt sich wirklich an alles.

Jakobsweg-Ausklang

Juli 30, 2009

Vorgestern morgen um 8 Uhr im Bus vom Plaza de Galicia, Santiago de Compostela auf einer Ausfallstraße nach Osten zum Flughafen. Hinter uns eine deutsche Familie: Vater (etwa in meinem Alter), Mutter und drei Kinder. Zwei Söhne ca. 14 und 16, eine Tochter um die 11. Aus Rheinland-Pfalz. Zwischen dem jüngeren Sohn und dem Vater entspinnt sich ein Dialog.

S: Ich frag mich, ob wir da gerade über den Tennisball gefahren sind, der vor uns auf die Straße gerollt ist. Das war ganz knapp. Ich glaube ja.
V: Dem Bus macht so ein Tennisball nichts.
S: Aber dem Tennisball!
V: Der Trend geht zum Zweittennisball. Die Spieler haben ja immer mehrere Bälle in der Tasche, so dass sie immer einen Ersatzball haben, wenn der erste ins Aus gegangen ist. So ein Tennisball ist bis zu 160 Stundenkilometer schnell. Der geht schnell mal ins Aus.
S: Und beim Squash? Wie schnell ist da der Ball?
V: Das weiß ich nicht, aber beim Squash sind die Wege ja viel kürzer, da muss der Ball nicht so schnell sein.

Das ging dann noch ewig weiter über andere Themen, z.B. die Pilgerbrüder, die wir am Straßenrand wandern sahen, die angeblich nach Leon und noch irgendwo anders hin „per Anhalter“ fahren sollten (hab nicht so genau hingesehen, eventuell hatten die Schilder), der Vater wusste über so ziemlich alles Bescheid und war dadurch auch etwas besserwisserisch, ich als außenstehender Lauscher empfand das aber nicht als störend. Ich hab ihn und seine so heil erscheinende höchstwahrscheinlich recht katholische Familie irgendwo bewundert. Noch physisch in Santiago wurde ich so geistig bereits in den Hunsrück teleportiert.

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Ich werde danach gefragt, ob ich nun die Erleuchtung gefunden habe. Hab ich nicht. Jedenfalls nicht im landläufigen, platten, endgültigen Sinne. Nur so ein paar winzigkleine Einsichten. Noch kleiner als unsere kleinen Schritte von im Schnitt 85 Zentimeter, die in ihrer millionenfachen Sequenz ziemlich weit nämlich gut 1000 km von Aire sur l’Adour nach Muxía geführt haben. Auch wenn ich an ein Ziel gekommen bin, zuerst in die Kathedrale von Santiago de Compostela, wo mir das qualmende 50 Kilo schwere Botafumeiro fast gegen die Stirn geschwungen wäre, dann an den Atlantik am Cabo Fisterra, wo es per pedes wirklich nicht mehr weiter geht. Wenn ein Weg zu Ende ist, dann beginnt ein neuer. Ans Ziel gelangt man nie. Die wichtigste und folgenreichste Erkenntnis vielleicht: Der Camino ist jetzt in mir. Ich krieg ihn aus meinem System nicht mehr raus. Nicht dass ich das wollte. I have been hooked. So wie die mittelalte, gläubige, deutsche Pilgerin, die wir mit ihrem Mann letztes Jahr vor Pamplona Burgos trafen über ihn sagte: „Der ist für jeden anderen Urlaub verdorben, der kann nur noch pilgern. Jeder andere Urlaub wäre viel zu ereignislos und langweilig für ihn.“ Wobei ich mir noch nicht sicher bin, ob es nächstes Mal unbedingt ein anderer der vielen Jakobswege sein muss oder es nicht vielleicht zum Beispiel auch der Rheinsteig von Bonn nach Wiesbaden sein könnte. Und noch was scheint sich immer mehr festzusetzen in mir. Wir gehen immer noch viel zu schnell. Wir sollten noch viel langsamer gehen, dass wir noch mehr fühlen, sehen, riechen und hören von der Natur und Kultur um uns herum. Man kommt so leicht in einen süchtig machenden Trott, der einen zwar geographisch weiterbringt aber nicht unbedingt innerlich. In dem Zusammenhang kaum noch erstaunlich, dass fast alle auf dem Camino noch hablbwegs normal gehen weil sie den Schmerz in den Füßen und Beinen aufgrund der im Hirn ausgeschütteten Neurotranmitter nicht mehr spüren, ihn quasi totgetreten haben, abends jedoch auf den Straßen in den Etappenorten sofort aufgrund ihres Ganges erkennbar sind weil fast alle lahmen und hinken. Kurze Wege gehen nicht mehr. Die Füße sind zum Dieselmotor geworden. Sie wollen laufen und laufen und laufen. In dem Zusammenhang natürlich die Theorie der unnötigen Pause. Pausen sollte man nicht machen, denn danach dauert es schmerzlich lange bis man seinen Tritt wieder gefunden hat. Stimmt nicht ganz aber die Länge der Pause sollte man sich schon überlegen. Das ist so wie mit der Siesta: Über eine halbe Stunde macht einen anschließend nur noch fertiger.