Archive for 17. Februar 2024

Elisabethpfad 8. Etappe: Stadtallendorf – Amöneburg 12

Februar 17, 2024

Menschen stehen an
Es gibt Bratwurst mit Pommes
Ein Duft, der betört

Heute der vorletzte Tag mit der kürzesten Etappe. Trotzdem kein Zuckerschlecken. Eine gewisse Fasten- und Wandermüdigkeit macht sich im Laufe der Etappe bei mir breit. Die Waden ziehen, die Kniee sind eingerostet, Anfechtungen machen sich bemerkbar.

Das Frühstück sehr übersichtlich, leider kein Tee – das ist ein Problem für den Flüssigkeitshaushalt, wer trinkt schon einen Liter Wasser frühmorgens, ich nicht – aber etwas exotisch. Kombucha mit Ingwer. 2,4% Zucker, mit Kohlensäure, brennt etwas.

Stadtallendorf: Mein Frühstück

Geschichtsexkurs: Vor dem 2. Weltkrieg war Stadtallendorf noch ein Dorf mit 1.500 Einwohnern. Während des Krieges wurde es dann laut dem Dokumentationszentrum der größte Rüstungsindustriestandort Europas. Zwangsarbeiter aus vielen Nationen produzierten Sprengstoff für die Wehrmacht. Nach dem Krieg ließen sich viele Vertriebene in der Region nieder. Es siedelten sich diverse Industrieunternehmen an, was zu einem Wirtschaftsboom führte. Von den heute über 21.000 Einwohnern sind etwa ein Viertel Muslime.

Es geht halb zehn los, ich lasse mir viel Zeit, bin nicht motiviert. Draußen bin ich erst einmal desorientiert, laufe in die falsche Richtung, aus der ich gestern gekommen bin. Muss erst wieder den Weg finden, da ich etwas abseits bin. Das Wetter bedeckt, es muss geregnet haben, ein Gefühl der Klammheit. Temperaturcheck 8 Grad. Bingo!

Der Weg nach Westen ist leicht kurvig und abschüssig und läuft zwischen den Feldern lang. Man hat eine weite Sicht über die Felder und Wiesen. Aus einer Asphaltstraße wird ein Feldweg, der sehr angenehm zu gehen ist. Meine Anwesenheit scheucht die unauffälligen hellbraunen Feldlerchen auf, die tirillierend durch die Lüfte schweben.

Nach knapp einer Stunde komme ich in Langenstein an, benannt nach dem 10 t schweren, über 5 m hohen Menhir aus der Jungsteinzeit, wohl einer der Größten Deutschlands.

Langenstein: Namensgebender Menhir

Die schnucklige Jakobuskirche weist eine Besonderheit auf. Ein freischwebendes zweischichtiges und zweifarbiges Netzgewölbe im Chorraum. So etwas gibt es in Deutschland nur noch in Frankfurt (St. Leonhard) und in Meisenheim.

Langenstein, Jakobuskirche: Netzgewölbe

Als ich aus dem Ort heraustrete, fällt in der Ferne ein die Landschaft dominierender Hügel mit einer Kirche drauf auf. Es ist mein Etappenziel, Amöneburg. Einerseits ist es schön, sein Ziel so direkt vor Augen zu haben, man kann einschätzen, wie weit es weg ist. Andererseits zollt es einem natürlich auch Respekt ab, insbesondere die erhöhte Lage, da ist noch etwas physikalische Arbeit angesagt heute.

Langenstein: Blick auf Amöneburg

Mein Tempo ist heute gemächlich, ich bin um 14 Uhr im Hotel angemeldet, acht km in drei Stunden, die Zeit läuft nicht weg.

Ich gehe nun weiter zwischen Feldern und Wiesen, komme bald zum nächsten Ort, Kirchhain, den ich mehr oder weniger komplett durchqueren muss. Das Autokennzeichen ist hier jetzt MR für Marburg. In der nach 1945 wiederaufgebauten katholischen Elisabethkirche stempele ich in der Taufkapelle meinen Pilgerausweis, in dem noch Platz ist, pro Tag kriege ich meist mehrere Stempel zusammen.

Neben dem Standesamt steht eine längere Schlange an einem Imbiss, wo es Bratwurst mit Pommes gibt an. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. So langsam beginne ich mich sehr auf das Ende meines Fastenintermezzos zu freuen.

Kirchhain: Standesamt

Aus Kirchhain raus geht es über die recht stattliche Ohm im Zickzack über Felder und Wiesen. Eine Gruppe von Landschaftspflegern macht ein Feuer. Es geht nun spürbar aufwärts, ich komme ins Schwitzen, ziehe die Jacke aus und binde sie mir um.

Aufstieg nach Amöneburg: Hinweis

Nach gut der Hälfte des Anstiegs lächelt  mich eine Liegebank an und ich kann nicht widerstehen. Vor meinen Augen ein grüner, rundlicher Hügel mit Steinen und Gebüsch drauf. Es hat etwas Künstliches, Steingartenartiges. Auf jeden Fall entspannend.

Aufstieg nach Amöneburg: Aussicht von der Liegebank

Oben angekommen, habe ich noch eine halbe Stunde Zeit und entscheide mich für den Mauerrundweg.

Amöneburg, Mauerrundweg

Man muss wissen, Amöneburg liegt komplett oben auf dem Hügel und wird zu großen Teilen auch heute noch von einer Stadtmauer umgeben. Der Weg bietet Ausblicke nach Kirchhain, wo ich gerade herkomme und nach Stadtallendorf, wo ich übernachtet habe. Es gibt einige Tore zu sehen sowie die alles überragende katholische Stiftskirche von 1871.

Amöneburg, Mauerrundweg: links Stadtmauer, rechts Stiftskirche

Der Blick nach Westen gibt einen Ausblick auf den Charakter der morgigen, letzten Etappe. Viel Grün, viel Natur, kaum Orte. Marburg ist von hier noch nicht zu sehen.

Amöneburg, Mauerrundweg: Blick nach Westen

In der geräumigen Stiftskirche fällt mir auf, dass ich, wenn ich mich recht erinnere, in keiner Kirche, die ich auf dieser Wanderung bisher besucht habe, auch nur eine Menschenseele getroffen habe. Das scheint mir doch schon sehr bezeichnend.

Den Elisabeth-Altar hinter dem Hochaltar finde ich genauso wenig wie den Pilgerstempel. Dafür eine Elisabethfigur, ich glaube, die erste, die ich im Blog präsentiere.

Amöneburg, Stiftskirche: Elisabethfigur

Ich schrieb es bereits, dies ist eine geschichtsreiche Region. 721 soll der angelsächsische Benediktinermönch Bonifatius sein Missionswerk mit einer Klostergründung hier begonnen haben. Wenn man der Statue Glauben schenken darf barfuß, knapp 50 Jahre alt und 1,80 m groß.

Amöneburg: Bonifatiusstatue

Nach dem Rundgang begebe ich mich ins Hotel, meine letzte Nacht auf dem Elisabethpfad möchte ich genießen.

Amöneburg: Himmelbett

Hier der Etappenüberblick über meine Fastenwanderung auf dem Elisabethpfad von Eisenach nach Marburg im Februar 2024.

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Februar 17, 2024

Menschen stehen an

Es gibt Bratwurst mit Pommes

Ein Duft, der betört

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Februar 17, 2024

Frau entschuldigt sich

Ihr Setter am Grundstückszaun

hat mich angebellt

Nawalny

Februar 17, 2024

Ich muss sagen, ich verstehe die Russen nicht. Und will sie auch nicht verstehen. Als Alexej Nawalny in Berlin in der Charité nach dem Giftgasanschlag aufgepeppelt wurde, dachte ich, er würde mit Frau und Kindern in Deutschland bleiben, auf jeden Fall nicht wieder – zumindest zu Putins Zeiten – in die Diktatur zurück, die sich von ihm entledigen will. Ein Selbstmord auf Raten. Wofür? Es muss seine russische Seele gewesen sein, dass er wieder zurück musste. Was muss er Russland geliebt haben. Was konnte er in der strengen Haft ausrichten? Mehr oder weniger nichts. Man wurde Zeuge, wie einem bei lebendigem Leibe ganz langsam die Haut abgezogen wurde. Er wusste, was ihn erwartete und muss das in Kauf genommen haben. Hoffentlich war sein Tod nicht umsonst und die Russen wachen so langsam mal auf und entledigen sich ihres mordenden Despoten. Julija Nawalnajas erste kämpferische Reaktion gibt auf jeden Fall Anlass zur Hoffnung.

Elisabethpfad 7. Etappe: Ziegenhain – Stadtallendorf 25

Februar 17, 2024

Unter den Füßen
flitzt der Weg weg. Allmählich
wechselt die Landschaft

Heute ist mein 7. Wander- und 8. Fastentag, das Letzere ist ein persönlicher Rekord.

Morgens mache ich meinen zweiten Einlauf. Die Details erspare ich lieber der Leserschaft, auf jeden Fall ist mein Darm jetzt noch sauberer als zuvor.

Heute frühstücke ich im Hotel. Na ja, ich nehme halt das zu mir, was ich in der letzten Woche zu mir genommen habe. Die kleine Karaffe Orangensaft ist schnell „gekaut“. Dazu bestelle ich grünen Tee und bekomme eine aromatisierte Plörre, ich werde nie verstehen, wie man so etwas mögen kann. Das 2. Kännchen, das übrigens noch nicht einmal den Teepott ganz füllt, ist dann ein schwarzer Assam, purer Genuss.

Ich trete kurz nach 9 raus. Und bin sofort geflasht von dem hellen Licht und habe dieses glücklichmachende Gefühl der grenzenlosen Freiheit, hingehen zu können, wohin ich will. Beim Fasten werden Glückshormone wie Serotonin ausgeschüttet, wahrscheinlich ist das die profane biochemische Erklärung. Die Wolkendecke reißt auf, die Temperatur ist frühlingshaft, ich binde meinen Anorak mit Doppelknoten um den Bauch.

Bald biege ich nach rechts auf den mit Radfahrern gemeinsam genutzten geteerten Deich links der Schwalm ab, links von mir z. T. überschwemmte Flächen, später dann ein riesiges Rückhaltebecken rechts. Es riecht hier nach stehendem Wasser, wie in einem Hafen, ich mag den Geruch. Ich träume heute morgen mehrmals vor mich hin und verpasse Abzweige, merke meine Fehler aber meist recht früh. GeoApp-Checken ist angesagt. Hier auf dem Deich treffe ich mehrmals auf Gassigeher und es fällt mir auf, dass Herrchen – egal welchen Alters – häufig versuchen, ihre Hunde vor mir zu dressieren wie mit „Sitz“ o. ä., Frauchen hingegen völlig entspannt sind und ihre Hunde nicht belästigen. Dafür gibt es bestimmt tiefenpsychologische Gründe.

Ziegenhain, Damm der Schwalm

Hinter der Rückhaltemauer geht es unter der Bahn durch und ich komme hoch nach Treysa. Am Anfang der Altstadt rechts gleich die Kirche St. Martin, bekannter unter dem Namen Totenkirche. Eine dreischiffige Basilika vom Ende des 12. Jahrhunderts. Man kann den Übergang von der Romanik zur Gotik hier sehr gut studieren. Im unteren Bereich noch Rundbögen, oben und im Chor dann gotische Spitzbögen. Mir fällt beim Kirchturm zum ersten Mal auf, wie die Fenster nach oben immer größer und länger werden. Er wurde auch in mehreren Bauphasen gebaut, was mich an Einfamilienhäuser in Südeuropa erinnert, wo ja auch stockwerkweise gebaut wird, bis wieder neues Geld da ist. Nach der Reformation wurde diese Kirche nur noch für Beerdigungen genutzt, daher der Name. 1830 schlug der Blitz ein und das Dach stürzte ein. Die Kirche ist bis heute eine Ruine, wird aber immer wieder saniert.

Treysa, Totenkirche

Unweit der Kirche entdecke ich eine ungewöhnliche und originelle Skulpur mit einer großen Liebe zum Detail, die verschiedene Märchen- und Fantasiewesen abbildet. Da sind z. B. der gestiefelte Kater, Laurin, das geflügelte Waldwesen, der Mann mit der Wolfsmaske und die dreigesichtige Frau (jung, mittelalt und alt). Die linke freie Brust steht für die Lebensspende. Die Spindel, die sie in der Hand hält, steht für die ewige Wiederkehr und das Mysterium des Lebens.

Treysa, Skulptur „Märchenbuch“ von Elisabeth Wade, 1992
Dreigesichtige Frau aus „Märchenbuch“

Wie in den meisten Städten auf dem Weg auch hier viele Fachwerkhäuser, die Mehrzahl sehr gut in Schuss.

Treysa, Fachwerkhaus

Ich gehe nun die Steingasse hinab und treffe auf das Hospital Zum Heiligen Geist, das früher auch Pilgern freistand. In der Ecke steht eine Figur von Elisabeth der Vogelsängerin, der Wohltäterin des Hospitals. Als ich gerade davor stehe und das Foto (s. u.) mache, gibt mir ein Sattelzugfahrer, der von unten von einer Baustelle kommt, ein Zeichen. Ich stehe offensichtlich im Weg und gehe zur Seite. Nun fährt er mit seinem Ungetüm weit ausladend um die Ecke und schrappt mit seiner Plane an dem Kapitell der Elisabeth vorbei und es rieselt herunter. Das löst bei mir einen seelischen Schmerz aus. Ich rufe ihm erbost hinterher, er hört natürlich nichts. Für sein Fahrzeug ist diese Passage einfach zu eng, wobei der alternative Weg wohl noch knapper bemessen wäre, wie mir ein Ortsansässiger sagt. Um etwas Neues zu bauen, muss das Alte zerstört werden, könnte man zynisch denken.

Treysa, Hospital
Treysa, Elisabeth die Vogelsängerin an Hospital,  das Kapitell  lädiert

Aus Treysa raus geht es nach einem Anstieg über die Hephata, ein Diakoniezentrum für Behinderte. Ich sehe in Treysa mehrere Gruppen von Gärtnern, meist junge Leute, die die Grünanlagen in Schuss halten, das ist schön anzusehen.

Weiter geht es an der Wiera, und der B454 in die Wieraauen, hier scheinen die Wegbetreiber etwas durcheinander gekommen zu sein, erst weist ein Holzschild nach Süden, ich gehe geradeaus nach Westen nach meiner App und etwas später sind wieder Markierungen auf meinem Weg. Der Weg wird hier zunehmend matschig und ist von Baufahrzeugen kaputt gefahren. Über mir eine fertiggestellte Brücke der A49 (2. Verbindung Kassel – A5 neben der A7) , die Ende des Jahres für den Verkehr freigegeben werden soll.

Hinter Treysa, Brücke der A49 (noch nicht eröffnet)

Ich befinde mich heute im Flow, der Weg flutscht nur so unter mir weg. Temperaturcheck, 14 Grad, Bingo! Ich genieße den Wechsel von der Stadt in die Natur und umgekehrt. Nach einer längeren Strecke auf dem eher reizarmen Land sind meine Sinne scharf auf Stadteindrücke wie Menschen, aber auch Architektur. Neue Perspektiven insbes. auf dem Land eröffnet gelegentliches Anhalten und Umdrehen, der Rückblick darauf, wo man herkommt, ist oft überraschend.

Nach einer Passage durch einen Wald komme ich nach Klauseborn, eine rege sprudelnde Quelle, die regelmäßig untersucht wird. Drumherum verschiedene Texte neben dem Einweihungsgebet, das mich als Rastenden direkt anspricht, ein kurzer Extrakt aus dem Werther, der gleich so eine romantische-schwärmerische Stimmung erzeugt. Es ist schön, dass es solche Orte gibt und Menschen, die sich darum kümmern.

Momberg, Klauseborn: Gebet
Momberg, Klauseborn: Quelle
Momberg, Klauseborn: Wertherexzerpt

In Momberg hole ich mir in der katholischen Johanneskirche – hier war die Gegenreformation erfolgreich – meinen Pilgerstempel ab. Diese geräumige neugotische Kirche wurde von 1867 bis 1870 unter der Leitung eines Maurermeisters mithilfe der Bevölkerung errichtet. Heutzutage völlig unvorstellbar.

Momberg, katholische Johanneskirche

Auf dem Weg in den nächsten Ort Speckswinkel ist auffällig, dass die Strecke durch Treckerspuren matschig, zerfurcht und mit vielen Pfützen nur schwer begehbar ist. In Speckswinkel kommt mir auf der anderen Straßenseite ein kleiner Junge einsam und allein entgegen, fängt plötzlich an zu rennen und ruft mir trotzdem noch verschämt „Hallo“ entgegen, was ich natürlich erwidere.

Durch Stadtallendorf muss ich einmal komplett durch, mein Hotel ist auf der anderen Stadtseite. Die katholische Stadtkirche St. Katharina ist hier ungewöhnlicherweise im Innern barock ausgestattet, eine Abwechslung nach den doch oft eher nüchternen Kirchen der Gegend.

Stadtallendorf, Katholische Stadtkirche

Je weiter ich komme, desto stärker zieht mir ein etwas unangenehmer Geruch nach Verbranntem in die Nüstern. Darauf angesprochen, sagt mir die Dame an der Hotelrezeption, das könnte entweder die Schokoladenfabrik oder die Eisengießerei sein. Es war Letztere.

Mein geräumiges, ruhig gelegenes Zimmer mit TV, Tisch, Stuhl, Bank, Schrank, Garderobe, großem Spiegel, Kühlschrank, Bad ist sehr gut eingerichtet und für 55 Euro ein Schnapper.

Hier der Etappenüberblick über meine Fastenwanderung auf dem Elisabethpfad von Eisenach nach Marburg im Februar 2024.