Archive for 15. Februar 2024

Elisabethpfad 6. Etappe: Homberg/Efze – Ziegenhain 24

Februar 15, 2024

Nieselregen, mild
Gespräche am Wegesrand
Pausen genießen

Der aufmerksame Leser wird sofort merken, dass in der Überschrift etwas nicht stimmt. Die beiden Etappen, die ich hier zusammengelegt habe, sind auf dem Elisabethpfad 32 km lang. Ich bin allerdings den kürzeren Jakobsweg gegangen, aber dazu später mehr. Nun von Anfang an.

Nach der Brechstangenetappe gestern mache ich heute eher piano, piano. Frühstückshighlight ist der milchige Mangosaft, den ich gestern beim Südasiaten am Markt gekauft habe. Ich kaue ihn mit Inbrunst. Im wahrsten Sinne, denn es sind Fruchtstücke drin, eigentlich ein No-Go beim Saftfasten, aber wer wird schon so streng sein? Dafür muss ich übrigens bezahlen, da ich später fürchterlichen Hunger kriege.

Ich verlasse „meine“ Einliegerwohnung, ziehe die Tür zu und nach ca. 10 Schritten bekomme ich Phantomschmerzen, ich habe meinen Wanderstock vergessen! Ich freunde mich schon mit dem Gedanken an, dann halt „ohne“ weiterzustapfen (das Morgen-High), als ich es nach 5 Minuten Gehen doch wage, meine Gastgeberin telefonisch bei der Arbeit zu stören. Sie sagt kein Problem und ist sogar eher da und kommt mir mit dem Teil entgegen. Ich bin platt!

Mir fällt ein neues Spiel ein. Ich rate die Außentemperatur. 10 Grad. Check mit der Wetter-App: Bingo! Kann man auch gut zu mehreren spielen. Heute nieselt es übrigens fast den ganzen Tag, aber es macht nichts mit Kapuze kann man das gut aushalten. Ich muss nicht mal den Schirm aufspannen. Nehme mir vor, auf der Regenradar-App nur noch die dunkelblauen Flächen ernst zu nehmen.

Ich gehe zum Marktplatz um drei Dinge zu erledigen. Als erstes mache ich ein Foto von der Brunnenskulptur Brüderchen und Schwesterchen nach dem Grimmschen Märchen. Da ist es ja vor allem interessant, dass es der Junge und nicht das Mädchen ist, der seinen Durst nicht zügeln kann, von dem verhexten Wasser trinkt und dann in ein Reh verwandelt wird. Ganz anders als anfangs in der Bibel, als Eva…

Homberg/Efze: Brüderchen und Schwesterchen

Punkt 2 auf meiner Liste ist die Stadtkirche, die ja gestern schon geschlossen war als ich ankam. Es steht ein Aufsteller dort mit „Geöffnet von 10-16h“, es ist kurz nach 9. Aber ich habe Glück, die Kirchenpforte ist schon auf! Ich trete ein in die gotische Hallenkirche und bin überwältigt von der Höhe der Säulen, die buchstäblich zum Himmel streben und der Helligkeit. Das Kreuzrippengewölbe ist unübersehbar. Ein bisschen fühle ich mich erinnert an die Kathedrale von Astorga auf dem Jakobsweg in Nordspanien, wobei die Säulen dort noch höher waren und die Helligkeit fast in den Augen weh tat.

Homberg/Efze: Marienkirche

Im Chorraum ist das sogenannte Reformationsfenster mit Luther und Melanchthon oben links und Zwingli und Calvin rechts daneben. Man hat es erst 1893 eingesetzt.

Homberg/Efze: Marienkirche, Reformationsfenster

Auf der Westseite ist ein Kreuzweg in Sandsteinreliefs von um 1500 in 7 Stationen dargestellt, vor denen die Gläubigen früher niederknieten.

Homberg/Efze: Marienkirche, Kreuzwegrelief

Nach der Besichtigung der Kirche gehe ich für Punkt 3 zum Rathaus in der Nähe, weil es nur dort um diese Zeit einen Pilgerstempel gibt. Ich klopfe an die Tür, öffne und „erwische“ die Dame beim Telefonieren. Sie legt bald darauf auf und stempelt mir eine Heilige Elisabeth – die Erste, meist sind das die Silhouetten der Kirchen – in den Ausweis. Sehr schön.

Ich wandere nun aus der Stadt hinaus auf der Ziegenhainer Straße. Lustige Zeitgenossen, die hier in Homberg wohnen

Homberg/Efze, Gruselkabinett auf dem Dach

Es geht jetzt die vielbefahrene Ausfallstraße mit wenig oder keinem Seitenstreifen durchs Industriegebiet und an einer Kompostieranlage Richtung Sondheim. Der Jakobsweg ist zwar kürzer als der Elisabethpfad, aber schön ist anders.

Auf dem Jakobsweg

Der Weg zieht sich endlos in die Ferne. Nicht nach vorne gucken, einfach nur gehen und genießen. Immerhin ist da ein Baum am Rand, für Abwechslung ist also gesorgt. Außerdem werden die Gerüche jetzt intensiver. Man merkt, dass die Viehwirtschaft hier eine größere Rolle spielt.

Hinter Wernswig: Der Weg ist nicht zu verfehlen

Vor Frielendorf der Silbersee – wisst ihr noch Karl May – ein ehemaliger Braunkohletagebau. Der Regen hat kurz aufgehört, die Sonne blinzelt durch die Wolken.

Frielendorf: Silbersee

Die Orte verkümmern hier zusehends. Supermärkte schließen, Cafes gibt es kaum noch, ein Kino habe ich auf dem ganzen Weg noch nicht gesehen. Gasthöfe schließen wegen Unrentabilität. Essen kann man, wenn überhaupt, nur noch Döner, Pizza oder asiatisch. Tankstellen, oft die letzten Treffpunkte, machen zu. Ohne Führerschein und Auto ist man hier völlig aufgeschmissen. Die glorreiche Vergangenheit ist hier definitiv vorüber. Der Letzte macht das Licht aus.

Frielendorf, hier war mal ein Supermarkt
Frielendorf, Lore

In Frielendorf mache ich im Niesel auf einer Bank meine Mittagspause. Ein Mann auf einem Rad mit Dackel kommt auf mich zu. Er ist 5 Jahre älter als ich. Wir reden übers Wetter (besser zuviel als zu wenig Regen) und den weiteren Weg zu meinem Etappenziel, der vor allem aus geteerten Radwegen bestehen soll. Er ist etwas verwundert, dass ich so eine lange Strecke zu Fuß gehe.

Im nächsten Ort in Spieskappel sehe ich ein ca. 300 qm großes Grundstück, das zum großen Teil umgegraben ist. Die Erde schwarz und fruchtbar. Ich frage den Mann, ob er das alles heute gemacht hat. Nicht ganz, lautet die Antwort. Er möchte Blumen pflanzen, um die Bienen anzulocken für den Honig. Er hat einen östlichen Akzent. Viel Glück!

Im Wald kurz vor dem Spiesturm ein 35 m langer wohl von einem Unwetter entwurzelter Baum. Auch wieder symptomatisch.

Kurz vor dem Spiesturm: Hier stand mal ein Baum

Am Spiesturm, wo eine innerhessische Grenze verlief, gibt es eine phantastische Sicht auf die umliegenden Berge. Man sieht z. B. die mit 675 m höchste Erhebung des Kellerwaldes, den Wüstegarten direkt rechts vom Turm. Ich pausiere und genieße jeden Wasserschluck einzeln. Hier fühle ich mich wirklich wohl und mit mir eins und möchte gar nicht weitergehen.

Spiesturm, Rastplatz mit Aussicht

Auf den letzten Kilometern geht es nochmal direkt neben der Bundesstraße weiter. Wie man es vom Camino, aber auch nicht anders erwarten kann.

Ich latsche durch den Ort, erreiche mein Hotel, rufe die angegebene Nummer an und ein junger, breit grinsender, korpulenter Mann öffnet und reicht mir die magische Zimmerkarte.

Hier der Etappenüberblick über meine Fastenwanderung auf dem Elisabethpfad von Eisenach nach Marburg im Februar 2024.

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Februar 15, 2024

Nieselregen, mild

Gespräche am Wegesrand

Pausen genießen

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Februar 15, 2024

Karamellfarben

Der köstliche Mangosaft

mit den Fruchtstücken

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Februar 15, 2024

Wieso grüßen mich

manche Leute nicht zurück?

Nächstes Mal frag ich

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Februar 15, 2024

Aus der Hecke tönt

ein vielstimmiges Konzert

Die Sänger versteckt

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Februar 15, 2024

Ein Tag, ein Leben

Morgens kerzengerade

Abends krummbucklig

Elisabethpfad 5. Etappe: Spangenberg – Homberg/Efze 31 (+1)

Februar 15, 2024

Langsam ansteigend
Der kalte Wind ins Gesicht
Der Weg schnurgrade

Wache nach unruhiger Nacht um 5 auf. Die kalte Dusche ist so richtig kalt, wie ich es liebe. So geht Aufwachen. Ich trinke zwar Mineralwasser und Rhabarbersaft zum Frühstück, vergesse jedoch in die Küche zu gehen und mir einen Tee zu kochen. Das Ergebnis: Ich bin schon durstig, bevor ich überhaupt losgehe. Um zehn vor acht bin ich unterwegs. Es scheint über Nacht geregnet zu haben, jetzt ist es nur noch bedeckt. Die Sonne wird sich den ganzen Tag verstecken, aber es wird trocken bleiben.

Aus Spangenberg raus gehe ich an der munter vor sich hinströmenden Pfieffe und komme an einem längeren Komplex vorbei, einer Sägenfabrik. Der geteerte Radweg anschließend, der in etwa parallel zur Bundesstraße verläuft, ist wie Kanonenfutter für meine Füße, heute drehe ich auf. Das ist auch gut so, denn ich gehe heute zwei Etappen, weil ich nur eine Woche Zeit habe. Heute ist übrigens Halbzeit.

Über uns drei Wildgänse, die ihren Schwarm verloren haben. Ich treffe mehrere Hundebesitzer und muss feststellen, dass die Kackbeutel hier gerne an den Wegrand gestellt werden. Ich sehe 5 solcher Beutel. Ich hoffe mal, die Müllabfuhr kümmert sich drum.

In Mörshausen besuche ich die etwas muffig riechende romanische Kirche aus dem 12. Jahrhundert, stempele den Pilgerausweis und schaffe es, die größte Attraktion, den Schmerzensmann, eine gotische Säule im dunklen Kircheninneren nicht zu sehen. Kann es sein, dass romanische Kirchen generell innen dunkler sind als gotische Kirchen? Angesichts der Fenstergrößen scheint mir das plausibel.

Mörshausen: Romanische Kirche aus dem 12. Jahrhundert
Hinter Mörshausen: Hundekotbeutel

Auch hinter Mörshausen geht es auf einem asphaltierten Weg weiter. Es ist nur leicht wellig. In Adelshausen passiere ich erst einen Trupp Männer mit Warnwesten. Dann stoße ich auf eine Hinweistafel an einer Brücke. Es stellt sich raus, dass hier früher die Kanonenbahn von Berlin nach Metz passierte. Es ist die Bahn, die nach dem 1870/71er Krieg mit Frankreich gebaut wurde, um die Hauptstadt besser mit dem Westen des Deutschen Reichs zu verbinden. Einen anderen weiter westlich gelegenen Streckenabschnitt dieser Bahn, der z.T. in den Berg hineingebaut gewesen war, hatte ich vor einigen Jahren auf einer Radtour mit meinem Vater an der Mosel gesehen.

Wie mich eine zweite Hinweistafel lehrt, bin ich hier auf der historischen Straße Die Langen Hessen, die insbes. für den Güterverkehr zwischen Eisenach und Frankfurt genutzt wurden. Die Kurzen Hessen verlaufen über Alsfeld (Vogelsberg) und sind zwar eine Abkürzung, aber dafür der beschwerlichere Weg.

Adelshausen: Hier fuhr früher die Kanonenbahn nach oder von Metz

Hinter Adelshausen erstreckt sich das ausgedehnte Fabrikgelände einer Pharmafirma, das noch erweitert wird. Vor mir in großer Höhe kreist ein Greifvogel, wahrscheinlich ein schwarzer Milan. Es geht nun über die B83 an einem Kreisverkehr zur Domäne Fahre. Hier steht ein Eier- und Getränkeautomat, den ich mir ansehe. Es gesellt sich nun eine Appenzeller Sennenhündin zu mir, die mich ausgiebig beschnüffelt, etwas scheu ist, mir aber folgen möchte, wobei ich ihr klarmachen kann, dass das keine gute Idee ist. Love at first sight.

Appenzeller Sennenhündin auf der Domäne Fahre

Hinter der Domäne komme ich zu den Fuldaauen, die Fulda ist hier ein schnell fließendes Flüsschen. An einem der vielen Klärwerke vorbei und über die Fuldabrücke geht es nach Malsfeld rein und die erste kurze Flachetappe von 12 km ist beendet, ich gönne mir eine Rast. Heißgetränke gibt es nur in der Supermarktkette. Allerdings ist der Tee aus. Wir lösen die Sache dann so, dass ich einen Pott heißes Wasser bekomme, den ich eigentlich nicht bezahlen darf, dann aber doch in Form eines Trinkgelds bezahle. In den Pott senke ich dann meinen eigenen Teebeutel.

Die Malsfelder Kirche gehört zu den Offenen Kirchen, eine Initiative, die ich immer mehr zu schätzen weiß, weil ich inzwischen in fast jede Kirche am Weg versuche, hineinzugehen und oft überrascht bin, was es dort alles gibt. Vom Gästebuch zu Teelichtern bzw. Kerzen, die man gegen eine Spende anzünden kann über Pilgerstempel, Papier für Bitten/Wünsche/Kritiken etc., die man einwerfen kann, Mineralwasser, 2nd hand Bücher, Luftpumpen und Flickzeug, Spielzeug für Kinder, Wetterstationen, Steckdosen (wichtig fürs Handy) etc. Es ist jedes Mal wie eine Wundertüte. Heute bekam ich sogar eine Hundepostkarte (mit Bibelvers) für 20 Cent.

Signet der Offenen Kirchen

Von Mörshausen ging es auf einem Schotterweg hoch nach Dagobertshausen, ein langsamer, schnurgerader Anstieg mit einer kühlen Brise von vorne. Links und rechts Felder. A propos, die Gegend ist eines der ältesten Siedlungsgebiete in Deutschland. Ein wichtiger Grund ist die Fruchtbarkeit der Böden. Dagobertshausen begrüßt mich schelmenhaft.

Dagobertshausen steht Kopf

Der rote Kübel ist für mich ein bisschen wie ein Madeleine für Proust. Ich fuhr so eine Karre, natürlich in Tarngrün 1983/84 bei der Bundeswehr. Was für ein Schrottauto. Auf der Autobahn konnte man nicht mehr als 90 fahren, weil alles wackelte und einen Heidenlärm machte. Die Lenkung hatte weit über 90 Grad Spiel, Servolenkung gab es damals noch nicht. Ganz schlimm waren die abgedeckten Notlichter. Im Wald bei Übungen gaben die weniger Licht als ein Streichholz. Dass ich nie gegen einen Baum gefahren bin, ein Wunder. Das Verdeck habe ich nur selten zum Cabriofahren im Kofferraum versenkt. Ölwechsel und Inspektion inkl. Ölfilter wechseln, musste man natürlich selber machen. Festgefahren habe ich mich auch einmal, wurde vom Koffer (Unimog) aber wieder aus der Matsche gezogen. Ich bin dann bei der Marke geblieben, habe jedoch modernere, zivile Modelle bevorzugt.

Dagobertshausen, roter Kübel

Es sind jetzt keine 100 km mehr zum Ziel. Also auch auf der Entfernungsskala Halbzeit.

Dagobertshausen, Wegweiser

Es geht nun hinauf bis zum Waldrand. Am Scheitelpunkt öffnet sich ein phantastisches weites Panorama mit dem langen Gebirgszug des Hohen Meißner im Hintergrund. Die Landschaft hat etwas Magisch-Märchenhaftes.

Hinter Dagobertshausen, Blick auf Hohen Meißner

Gut vernehmlich ist auch schon ein Rauschen aus dem Tal, dass anschwillt, je weiter ich vorangehe. Es ist die A7, meine erste Autobahnüberquerung auf dieser Wanderung. A propos Autos, das hiesige  Kfz-Kennzeichen ist seit geraumer Zeit nicht mehr ESW für Eschwege sondern HR für Homberg oder MEG für Melsungen. Beide Kennzeichen gehören zum Schwalm-Eder-Kreis.

Zwischen Dagobertshausen und Ostheim, A7

Es geht weiter mit den geraden, ansteigenden Wegen, hier ein Blick zurück.

Blick zurück nach Ostheim
Hinter Ostheim: Blick zum Hohen Meißner

Vom Segelflugplatz am Mosenberg (402 m) geht es hinunter nach Homberg, allerdings verpasse ich einen Abzweig und bewege mich in Richtung des Nachbarortes Mardorf. Ich muss jetzt mühsam auf den geraden Feldwegen Zickzack laufen, z. T. sogar wieder bergauf, um schließlich nach Homberg zu kommen.

Eine wichtige Person für Hessen ist Philipp der Gutmütige, der 1526 die Homberger Synode einberuft, wonach mehr oder weniger ganz Hessen evangelisch wurde.

Homberg/Efze, Markt: Philipp der Großmütige

In Nordhessen sind Fachwerkhäuser sehr verbreitet, insbesondere in Homberg, wo der Markt von der Stadtkirche und diversen herausgeputzen Fachwerkhäusern eingerahmt wird. Hier befindet sich mit dem Gasthaus Krone von 1480 eines der ältesten Gasthäuser Deutschlands.

Homberg/Efze, Gasthaus Krone (geschlossen)

In Homberg komme ich leider etwas zu spät für die Kirche, die um 16h schließt. Ich kaufe ein paar exotische Säfte (Banane/Mango) im asiatisch ausgerichteten Tante Emma Laden direkt am Markt. Die Fachwerkhäuser sind zum Teil von Migranten bewohnt. Anschließend gehe ich zur Supermarktkette, um die Wartezeit rumzukriegen bis meine Landlady nach Hause kommt und trinke grünen Tee.

Hier der Etappenüberblick über meine Fastenwanderung auf dem Elisabethpfad von Eisenach nach Marburg im Februar 2024.