Nieselregen, mild
Gespräche am Wegesrand
Pausen genießen
Der aufmerksame Leser wird sofort merken, dass in der Überschrift etwas nicht stimmt. Die beiden Etappen, die ich hier zusammengelegt habe, sind auf dem Elisabethpfad 32 km lang. Ich bin allerdings den kürzeren Jakobsweg gegangen, aber dazu später mehr. Nun von Anfang an.
Nach der Brechstangenetappe gestern mache ich heute eher piano, piano. Frühstückshighlight ist der milchige Mangosaft, den ich gestern beim Südasiaten am Markt gekauft habe. Ich kaue ihn mit Inbrunst. Im wahrsten Sinne, denn es sind Fruchtstücke drin, eigentlich ein No-Go beim Saftfasten, aber wer wird schon so streng sein? Dafür muss ich übrigens bezahlen, da ich später fürchterlichen Hunger kriege.
Ich verlasse „meine“ Einliegerwohnung, ziehe die Tür zu und nach ca. 10 Schritten bekomme ich Phantomschmerzen, ich habe meinen Wanderstock vergessen! Ich freunde mich schon mit dem Gedanken an, dann halt „ohne“ weiterzustapfen (das Morgen-High), als ich es nach 5 Minuten Gehen doch wage, meine Gastgeberin telefonisch bei der Arbeit zu stören. Sie sagt kein Problem und ist sogar eher da und kommt mir mit dem Teil entgegen. Ich bin platt!
Mir fällt ein neues Spiel ein. Ich rate die Außentemperatur. 10 Grad. Check mit der Wetter-App: Bingo! Kann man auch gut zu mehreren spielen. Heute nieselt es übrigens fast den ganzen Tag, aber es macht nichts mit Kapuze kann man das gut aushalten. Ich muss nicht mal den Schirm aufspannen. Nehme mir vor, auf der Regenradar-App nur noch die dunkelblauen Flächen ernst zu nehmen.
Ich gehe zum Marktplatz um drei Dinge zu erledigen. Als erstes mache ich ein Foto von der Brunnenskulptur Brüderchen und Schwesterchen nach dem Grimmschen Märchen. Da ist es ja vor allem interessant, dass es der Junge und nicht das Mädchen ist, der seinen Durst nicht zügeln kann, von dem verhexten Wasser trinkt und dann in ein Reh verwandelt wird. Ganz anders als anfangs in der Bibel, als Eva…

Punkt 2 auf meiner Liste ist die Stadtkirche, die ja gestern schon geschlossen war als ich ankam. Es steht ein Aufsteller dort mit „Geöffnet von 10-16h“, es ist kurz nach 9. Aber ich habe Glück, die Kirchenpforte ist schon auf! Ich trete ein in die gotische Hallenkirche und bin überwältigt von der Höhe der Säulen, die buchstäblich zum Himmel streben und der Helligkeit. Das Kreuzrippengewölbe ist unübersehbar. Ein bisschen fühle ich mich erinnert an die Kathedrale von Astorga auf dem Jakobsweg in Nordspanien, wobei die Säulen dort noch höher waren und die Helligkeit fast in den Augen weh tat.

Im Chorraum ist das sogenannte Reformationsfenster mit Luther und Melanchthon oben links und Zwingli und Calvin rechts daneben. Man hat es erst 1893 eingesetzt.

Auf der Westseite ist ein Kreuzweg in Sandsteinreliefs von um 1500 in 7 Stationen dargestellt, vor denen die Gläubigen früher niederknieten.

Nach der Besichtigung der Kirche gehe ich für Punkt 3 zum Rathaus in der Nähe, weil es nur dort um diese Zeit einen Pilgerstempel gibt. Ich klopfe an die Tür, öffne und „erwische“ die Dame beim Telefonieren. Sie legt bald darauf auf und stempelt mir eine Heilige Elisabeth – die Erste, meist sind das die Silhouetten der Kirchen – in den Ausweis. Sehr schön.
Ich wandere nun aus der Stadt hinaus auf der Ziegenhainer Straße. Lustige Zeitgenossen, die hier in Homberg wohnen

Es geht jetzt die vielbefahrene Ausfallstraße mit wenig oder keinem Seitenstreifen durchs Industriegebiet und an einer Kompostieranlage Richtung Sondheim. Der Jakobsweg ist zwar kürzer als der Elisabethpfad, aber schön ist anders.

Der Weg zieht sich endlos in die Ferne. Nicht nach vorne gucken, einfach nur gehen und genießen. Immerhin ist da ein Baum am Rand, für Abwechslung ist also gesorgt. Außerdem werden die Gerüche jetzt intensiver. Man merkt, dass die Viehwirtschaft hier eine größere Rolle spielt.

Vor Frielendorf der Silbersee – wisst ihr noch Karl May – ein ehemaliger Braunkohletagebau. Der Regen hat kurz aufgehört, die Sonne blinzelt durch die Wolken.

Die Orte verkümmern hier zusehends. Supermärkte schließen, Cafes gibt es kaum noch, ein Kino habe ich auf dem ganzen Weg noch nicht gesehen. Gasthöfe schließen wegen Unrentabilität. Essen kann man, wenn überhaupt, nur noch Döner, Pizza oder asiatisch. Tankstellen, oft die letzten Treffpunkte, machen zu. Ohne Führerschein und Auto ist man hier völlig aufgeschmissen. Die glorreiche Vergangenheit ist hier definitiv vorüber. Der Letzte macht das Licht aus.


In Frielendorf mache ich im Niesel auf einer Bank meine Mittagspause. Ein Mann auf einem Rad mit Dackel kommt auf mich zu. Er ist 5 Jahre älter als ich. Wir reden übers Wetter (besser zuviel als zu wenig Regen) und den weiteren Weg zu meinem Etappenziel, der vor allem aus geteerten Radwegen bestehen soll. Er ist etwas verwundert, dass ich so eine lange Strecke zu Fuß gehe.
Im nächsten Ort in Spieskappel sehe ich ein ca. 300 qm großes Grundstück, das zum großen Teil umgegraben ist. Die Erde schwarz und fruchtbar. Ich frage den Mann, ob er das alles heute gemacht hat. Nicht ganz, lautet die Antwort. Er möchte Blumen pflanzen, um die Bienen anzulocken für den Honig. Er hat einen östlichen Akzent. Viel Glück!
Im Wald kurz vor dem Spiesturm ein 35 m langer wohl von einem Unwetter entwurzelter Baum. Auch wieder symptomatisch.

Am Spiesturm, wo eine innerhessische Grenze verlief, gibt es eine phantastische Sicht auf die umliegenden Berge. Man sieht z. B. die mit 675 m höchste Erhebung des Kellerwaldes, den Wüstegarten direkt rechts vom Turm. Ich pausiere und genieße jeden Wasserschluck einzeln. Hier fühle ich mich wirklich wohl und mit mir eins und möchte gar nicht weitergehen.

Auf den letzten Kilometern geht es nochmal direkt neben der Bundesstraße weiter. Wie man es vom Camino, aber auch nicht anders erwarten kann.
Ich latsche durch den Ort, erreiche mein Hotel, rufe die angegebene Nummer an und ein junger, breit grinsender, korpulenter Mann öffnet und reicht mir die magische Zimmerkarte.
Hier der Etappenüberblick über meine Fastenwanderung auf dem Elisabethpfad von Eisenach nach Marburg im Februar 2024.

















