Tindersticks @ Volksbühne, Berlin, 8.3.2012

Auf dem Weg zur Volksbühne, den ich zu Fuß zurücklege, laufe ich südlich am Tiergarten vorbei. Da höre ich trotz Ohrhörern ein seltsames Geräusch im Hintergrund, es hört sich wie ein hohes, durchdringendes Rauschen an, es sind Vuvuzelas, die unseren Kurzpräsidenten standesgemäß aus dem Bellevue verabschieden. Er hat sie sich wohlverdient. In der Volksbühne ist es tatsächlich ziemlich rappelvoll, hatte mich etwas gewundert, dass die Tindersticks zweimal hintereinander den Laden vollmachen, und dann auch noch bei salzigen Preisen um die 40 Euro. Ich zähle durch und komme auf ca. 500 Sitzplätze, weniger als ich gedacht hatte. Ich habe die Tindersticks vor knapp 20 Jahren schon einmal in Nancy gesehen, da war ich mit meinem italienischen Freund A und seinem besten Kumpel O, der sich bei dem Konzert fürchterlich gelangweilt hat, da er eher der Headbangerfraktion angehörte. Ca. eine halbe Stunde nach der pünktlich um acht anfangenden französischen One Man Band, die ihre Sache gar nicht so übel macht obwohl a. die meiste Musik aus der Retorte als kurz vorher live aufgenommer Loop über die Anlage kommt (s. 3. Kommentar) und b. ich fast weggepennt wäre weil es nicht sehr abwechslungsreich ist, was er da an Percussion, Gitarre und Gesang fabriziert, kommt der inzwischen ergraute, etwas tapsige Stuart Staples mit seiner Band auf die Bühne. Sie starten mit einem Lied von der ersten – und mir immer noch liebsten – Platte, ich glaube es heißt Blood. Diese sonore Baritonstimme steht immer noch für Late Night Gänsehautatmosphäre, hört sich kitschig an, muss manchmal sein. Die Band ist meist zu sechst, außerdem ein Gitarrist, ein Bassist, ein Drummer, ein Keyboarder und ein Saxofonist, der auch manchmal an dem 2. Keyboard spielt. Staples spielt gelegentlich auch Gitarre, ich höre sie allerdings kaum raus. Der Leadgitarrist spielt ein Instrument mit einem riesigen Hohlkörper und arbeitet mit diversen Hall- und Kratzeffekten, ein sehr guter Mann. Der Bassist ist auch nicht so leicht zu hören, obwohl sein E-Bass ziemlich laut ist und sehr schön swingt. Der Drummer kommt mir anfangs sehr mechanisch in seinem Spiel vor, fast wie eine drum machine aber im Laufe des Abends trommelt er variationsreicher. Der Keyboarder sorgt natürlich für den nötigen Groove, der Northern Soul lässt grüßen. Er spricht auch das überlange Chocolate: der Opener des exzellenten neuen Albums mit der überraschenden Wendung in den Lyrics. Das Stück besteht aus zwei Teilen, im ersten wird ein wildes, freejazziges Crescendo aufgebaut, das langsam ausklingt. An der Stelle klatscht das Publikum, die Band nimmt es locker. Höhepunkt des Abends ist zweifelsohne Frozen, auch vom neuen Album. Auch dieses Stück schwillt an, der Gesang und die Leadgitarre hallen sehr stark, der Gitarrist streicht sehr schnell über die Saiten was eine Art peitschendes Schnarren erzeugt, einen interessanten Effekt, den ich so noch nie gehört habe. Der Song wird sehr intensiv, nahezu ekstatisch mit einem Stuart Staples, der die Silben verschluckt „I want to hold you“ zigmal wiederholt, sehr eindrucksvoll. Zur Zugabe lassen sie die Zuschauer sich mehrere Minuten die Hände wundklatschen. Dann kommt zuerst die exzellente Ballade If She’s Torn von den vierten Album Simple Pleasure, die sich wohl auch jemand lautstark gewünscht hatte, der angeblich nur wegen diesem Lied gekommen war. Dann kommt noch ein rockiges Stück, das okay war, aber im Tinderstickkosmos wie ein schwarzes Loch dasteht, ein Fremdkörper in ihrem Oeuvre. Zuletzt noch ein ruhiges Ständchen mit glockenspieligem Keyboard und Gesang. Gerade mal 90 Minuten. So sind sie halt die Engländer. Ausdauer ist ihre Stärke nicht.

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4 Antworten to “Tindersticks @ Volksbühne, Berlin, 8.3.2012”

  1. nasenmann Says:

    lieblingsplatte und dann den titel nicht kennen?

  2. ohrensause Says:

    blood, habe ich doch geschreiben, sie naseweis. und sicher ist man sich bei an die 2000 cds und hunderten von platten und zehntausenden von mp3s mit den titeln fast nie. ist auch schon knapp 20 jahre her als das auf heavy rotation lief bei uns…

  3. Carlo Says:

    Die Musik der Vorband kam übrigens *nicht* aus der Retorte (wär ja wohl noch schöner…), sondern er hat alles selbst und live gespielt und direkt als „Loops“ aufgenommen, welche er dann sofort abgespielt hat, um sich dem jeweils anderen Instrument zuzuwenden.

  4. ohrensause Says:

    danke für den hinweis, merkt man als hörer so nicht unbedingt, ob das, was da über die anlage abgespielt wird, ein vorher aufgenommener loop ist oder konserve. aber es stimmt, die sich wiederholenden ausschnitte, die da im hintergrund liefen, waren schon sehr ähnlich zu dem, was er vorher gespielt hatte. dadurch hat er sich wirklich eine one man band geschaffen. erst die gitarre eingespielt und aufgenommen, dann beim trommeln wieder abgespielt. eigentlich geradezu genial. wie hieß der mann nochmal? achja, thomas belhom. der effekt auf mich war leider trotzdem eher ein einschläfernder, ich glaube anderen ging es auch so.

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