Jakobsweg 9.2.25 Geisa – Hünfeld 19

Sonne verbirgt sich
Kreuzweg an alter Grenze
Unter Haut gehend

Nach dem wunderschönen Sonnentag gestern ist heute ein klassischer trüber Februartag, am Morgen ist es mit – 5 Grad eiskalt, der Nebel löst sich nie ganz auf, die Sonne versteckt sich hinter den Wolken.

Da mein Gasthof etwas abseits des Jakobsweges liegt, gehe ich auf eigene Faust auf Feldwegen hinauf zum Point Alpha, einem ehemaligen US- Beobachtungsposten, der Stelle, wo die alte Bundesrepublik am schmalsten war und im Fulda gap auf den Thüringer Balkon traf.

Ich quäle mich etwas den Berg hoch, komme trotz der Kälte sogar leicht ins Schwitzen. Der Körper hat nun auf die Verbrennung vor allem von Bauchfett umgesattelt, aus dem er die für die Bewegung nötige Energie gewinnt. In der Leber werden hierzu Fettsäuremoleküle, auch Ketone genannt, gebildet. Diese Art der Energiegewinnung ist für den Körper deutlich aufwendiger als direkt extern durch die Nahrung zugeführte Kohlehydrate zu verbrennen. Daher bin ich schnell außer Atem und bewege mich nur langsam aufwärts.

Beim Aufstieg habe ich in der kargen Winterlandschaft zudem ein Gefühl der völligen Verlorenheit und Sinnlosigkeit. Die Frage, die sich gerade konkret stellt: Was mache ich hier? überträgt sich auf das ganze Leben: Was mache ich hier auf diesem Planeten? Die Antworten simpel und nahezu identisch. Mich von A nach B bewegen. Während die beiden Punkte auf der Wanderung mehr oder weniger klar sind, ist es beim Leben eher vage, insbesondere das Ziel. Aber es gibt eins, das scheint sicher. Cut.

Leider komme ich zu früh für die um 10 Uhr öffnende Dauerausstellung über den kalten Krieg und die ehemalige Zonengrenze, das Haus auf der Grenze liegt noch im Nebel, ich muss die beschlagenen Brillengläsern abnehmen, um überhaupt etwas zu sehen.

Point Alpha: Haus auf der Grenze

Trotzdem kann ich diverse Relikte aus der damaligen Zeit begutachten. Da wäre als erstes der runde Tisch, an dem die Gesprächsrunden zu Zeiten der friedlichen Revolution in der DDR 1989/90 stattfanden.   Die Nachbildung wurde aus Betonteilen der ehemaligen Grenzbefestigungsanlagen hergestellt.

Point Alpha: Runder Tisch

Etwas weiter nördlich auf der zugefrorenen  Wiese steht ein alter Grenzbaum, hier war Deutschland bis zum 22.12.89, 12 Uhr geteilt.

Point Alpha: Alter Grenzbaum

Eine Metallinstallation aus einem Soldaten, der den Kopf gesenkt hat und den Arm reicht und einem Mann mit Dornenkrone und Pilgerstab, der den Zeigefinger nach oben streckt, steht auf der anderen Straßenseite.

Point Alpha: Soldat und Pilger

Inn unmittelbarer Nähe beginnt der Weg der Hoffnung, ein Kreuzweg aus Metallskulpturen, der sich ca. 1,5 km auf dem Kolonnenweg an der ehmaligen Zonengrenze befindet.

Point Alpha: Weg der Hoffnung

Ich gehe den Kreuzweg ca. 1 km und nehme dann die Straße hinunter nach Rasdorf. Hier befinde ich mich nun in der hessischen Röhn. Bei der Eiseskälte steigt mir ein süßlicher Duft in die Nase, ich bilde mir ein, Himbeergeist zu riechen. Eventuell ist das der höheren Durchlässigkeit aufgrund des Fastens geschuldet.

In Rasdorf gehe ich über den Anger, den sich weit über hundert Meter erstreckenden größten Dorfplatz in Hessen, zur unspektakulären gotischen Stiftskirche aus dem 13. Jahrhundert. Es ist jetzt Sonntag 10h30, eine Messe findet allerdings nicht statt. Der Küster macht die Runde.

Hinter Rasdorf komme ich an einem Kneippbecken vorbei, dem meine Füße angesichts der Kälte noch so grade widerstehen können.

Am Ortsrand von Haselstein mache ich meine Mittagspause auf einer Bank mit Aussicht, eine nett grüßende junge Frau und ihr kleiner Sohn laufen mir dreimal über den Weg. Hier wird mir klar, dass ein Grund für meine permanente Dehydration die Kälte ist. Das Wasser ist eisig, man kann es wirklich nur in kleinsten Schlücken genießen.

Es geht nun leicht aufwärts auf schönen Naturpfaden, auf denen ich heute am Sonntag auch einige Spaziergänger treffe. Oben vom Plateau hat man normalerweise eine phantastische Aussicht auf sechs Vulkankuppen, das sogenannte hessische Kegelspiel, das man heute im Nebel allerdings nur erahnen kann.

Hessisches Kegelspiel im Nebel

Auf leeren Ausfallstraßen geht es nun hinab nach Hünfeld an einer größeren Anlage der Bundespolizei hinter Stacheldraht entlang. Mir kommen zwei kleine Männergruppen entgegen, die eine weiche, östliche Sprache sprechen. Als sie mich erblicken, verstummen sie sofort. Waren das nun Russen, die Angst vor dem Geheimdienst haben oder eventuell Ukrainer, die fahnenflüchtig sind oder keins von beiden?

Da es schon 14h30 ist und mein Gasthof von 14 – 17h30 geschlossen ist, verbringe ich die nächsten drei Stunden im Eiscafe. Dort trinke ich zwei grüne Tee – eventuell schon zu spät – und einen Minztee und höre den Ernährungspodcast zu Ende, der sich zum Schluss auch kurz dem Fasten widmet.

In Neukirchen in der Nähe von Hünfeld hat Konrad Zuse 1949 die Computerindustrie gegründet, er liegt auch in Hünfeld begraben. Nach ihm benannt wurden eine Schule und ein Hotel. Zudem gibt es ein Museum und ich komme an der Zuse-Box vorbei, wo man bei der Stadt beantragte Unterlagen rund um die Uhr abholen kann.

In der Dämmerung erreiche ich meinen Gasthof. Das Google TV kriegt der Bedienstete zwar nicht in Gang, aber ich bin schon froh, dass ich WLan habe. Nach zwei Telefonaten gucke ich mir das Kanzlerduell an, bei dem mir eine Seite doch einen deutlich besseren Eindruck macht. Ich gehöre immer noch zu den 40 20 Prozent, die unentschieden sind.

Beim Ausziehen der Socken muss ich leider feststellen, dass sich außen am großen Zeh des linken Fußes eine Blase gebildet hat. Da muss morgen ein großes Blasenpflaster drauf. Ob die neuen Schuhe doch noch nicht genügend eingelaufen waren? Richtig wohl habe ich mich die ersten zwei Tage in ihnen jedenfalls nicht gefühlt. Bei der Ankunft genieße ich jedoch immer den Ausbruch aus dem Fußgefängnis, denn die neuen sehr raumgreifenden Einlagen lassen den Füßen relativ wenig Platz.

In den Schlaf finde ich nur schlecht, der grüne Tee hat wohl doch eine längere Wirkung als gedacht.

Hünfeld: On parle français

Hier der Überblick über meine Wanderung auf dem Jakobsweg von Vacha nach Niederhöchstadt im Februar 2025.

3 Antworten to “Jakobsweg 9.2.25 Geisa – Hünfeld 19”

  1. Avatar von zartgewebt zartgewebt Says:

    Oh jeh! … eine Blase am Zeh ist übel. Das mit den Schuhen ist schon so eine Sache, die dürfen bei mir beim Wandern ja nicht zu klein sein, der muss dem Fuß ausreichend Platz bieten und dann noch so Einlagen wie bei dir …. hmmmmm :-/ Auch die Socken sind manchmal der Grund, wenns wo drückt, da bin ich gaaanz heikel, was das angeht. Ich habe da schon ewig uralte (so an der Ferse und an den Zehen verdickte) an, sind sicher schon über 20 Jahre alt oder mehr. Ich wechsle die auch nicht, trage die tagelang. 😉 Hoffe, das Blasenpflaster hilft dir da gut über die Runden zu kommen!
    „…ein Gefühl der völligen Verlorenheit und Sinnlosigkeit. Die Frage, die sich gerade konkret stellt: Was mache ich hier?“, bei diesem Satz musste ich ein wenig schmunzeln,
    nicht ob der Verlorenheit und Sinnlosigkeit, denn DAS Gefühl ist mir doch eher fremd, aber doch „Was mache ich hier“, das ereilt mich auch manchmal, wenn die Anstrengung beim Aufstieg manchmal enorm hoch ist, dann denke ich mir auch des Öfteren, wieso in aller Welt tue ich mir das an! (aber nur auf den Moment bezogen)“ ;-oh … Aber das geht wieder vorbei.
    Und DANKE, fürs DABEI-SEIN-dürfen.

  2. Avatar von ohrenschmaus ohrenschmaus Says:

    Das Gefühl der Verlorenheit, die Frage „Was mache ich hier?“war bei mir aber eigentlich auch nur auf den Moment bezogen, weil das Gefühl und die Frage waren ja bald wieder weg. Allerdings hat sich der Moment in dem Moment wie die Ewigkeit angefühlt. Es lag nicht nur an der Anstrengung aufgrund der Körperumstellung. Dazu kam das Alleinsein, die Kälte, der Nebel, die Vergeblichkeit des eigenen Tuns. Das war ja schon so eine Art metaphysischer Moment, den ich auch nicht missen möchte. Wahrscheinlich würde Schuberts Winterreise ganz gut dazu passen.

  3. Avatar von zartgewebt zartgewebt Says:

    Danke für die Erklärung, und ja, ich verstehe ganz gut, was du meinst.

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