Harzreise 22.6.24, 8. Tag Ilsenburg – Königshütte

Laubwaldlichtspiele
Ringelpiez beim Rathausfest
Wilder Wiesenweg

Die forsche Hotelwirtin scheint vergessen zu haben, dass ich bereits vor über einem Monat Vorkasse geleistet habe, aber ich nicht! So toll war das Hotel auch nicht, dass ich freiwillig doppelt zahle. Bis jetzt habe ich auf dieser Wanderung noch nichts vergessen, heute merke ich relativ schnell, dass die Wandermütze fehlt und verliere nur 10 Minuten Zeit.

Über den lichten Laubwald des Schlossparks geht es raus aus Ilsenburg. Ich kann heute im Laufe des Tages die Schatten- und Lichtspiele der Laubbäume ausgiebig studieren. Da ich in Rübeland, dem Zielort der Harzreise – bekannt durch die Höhlen – keine Herberge gefunden habe, muss ich mich heute auf einem improvisierten Weg insbesondere auf den rund 15 km von Wernigerode bis Königshütte rumschlagen.

Im Wald verläuft die Wasserscheide zwischen Elbe und Weser, so weit östlich bin ich jetzt schon.

Zwischen Ilsenburg und Wernigerode

Heute bin ich etwas in Gedanken versunken, aber im Vollbesitz meiner Kräfte. An einer Stelle im Wald verpasse ich einen Abzweig und gehe doch tatsächlich gedankenverloren ca. 500 m bergauf in die falsche Richtung, bevor es mir schwant, dass es doch eigentlich gar nicht bergauf gehen kann.

Ich treffe heute auf einige Mountainbiker, es ist Samstag. Die erste Ortschaft ist nach rund 10 km Natur Hasserode, wo auch das Bier gebraut wird. Hier muss ich ca. 2 km in der Sonne an der Straße langgehen, bevor ich durch das Westerntor in die Altstadt von Wernigerode eintrete.

Wernigerode, Westerntor

In Wernigerode ist dieses Wochenende Rathausfest. Es herrscht großer Trubel, Menschenmassen bevölkern die langgezogene Fußgängerzone. Ich brauche jetzt unbedingt einen Eiskaffee, den ich am Rathaus bekomme. Dort spielt eine Hamburger Band deutschen Schlager mit Volksmusikeinschlag, ich frage mich, ob die Rentner, die vor der Bühne auf Klappstühlen sitzen, dafür und fürs Klatschen bezahlt werden. Die Musik ist unerträglich kitschig. Die drei Musiker – alle in Jeans und weißem Hemd – laufen mit Mikro singend und sich an den Schultern anfassend über den Markt. Sie versuchen, das Publikum zu animieren, indem sie vom Hamburger Nachtleben schwärmen und fragen, was denn so in Wernigerode nachts abgeht. Nach dem Motto Witz komm raus, du bist umzingelt. Ich flüchte so schnell wie möglich und besorge mir beim Griechen ein sehr knuspriges, getoastetes Fladenbrot mit warmem Feta, Tsatsiki und Krautsalat.

Wernigerode, Rathaus

Die Breite Straße hinauf steht das barocke Haus des Getreidehändlers Krumme aus dem Jahr 1674 – Wernigerode ist wie Goslar ein Fachwerkparadies – mit vorgesetzter Fassade aus Holzvertäfelungen.

Wernigerode, Krummelsches Haus

Kurz vor Verlassen der Altstadt sehe ich noch einen Liedermacher mit Klampfe, der allein auf einer großen Bühne sitzt, sich die Seele aus dem Körper singt, während zwei bis drei Leute sich das anhören; er hätte mehr Publikum verdient gehabt.

Ich nehme jetzt nicht wieder die schnurgerade Straße zurück nach Hasserode,  sondern gehe auf dem Fußweg der B 244, die nach Elbingerode führt, aus der Stadt heraus. Oben im Gegenlicht das Schloss, ein Leitbau des norddeutschen Historismus auf Basis einer mittelaterlichen Anlage 1882-1885 von Otto zu Stolberg-Wernigerode, dem Stellvertreter Bismarcks, umgebaut.

Wernigerode, Schloss

Ich finde nun einen lauschigen Weg im Laubwald, der den Zillierbach entlang verläuft. Am Wegesrand Waldhimbeeren, die ich mir nicht entgehen lasse. Ihren intensiven Geschmack im Mund denke ich, dass genau diese Momente es sind, die dem Wandern noch einmal einen besonderen Kick geben. Man isst die Früchte der Natur, man vereint seinen Körper, seinen Geschmack, seine Verdauung mit der Welt. Es hat etwas Pantheistisches. Alles ist eins. Etwas pathetisch vielleicht, aber egal.

Am Wegrand ein Belüftungsschacht einer Grube, heute ein Fledermausreservat. Aus dem Schacht strömt angenehm kühle Luft, die meinen heiß gelaufenen Körper kühlt.

Belüftungsschacht

Plötzlich stehe ich vor dem Staudamm der Zillierbachtalsperre, hier kommen nur noch die Fassadenkletterer weiter, ich muss außen rum.

Zillierbachtalsperre, Staudamm

Auf einer Bank mache ich eine Trinkpause und gönne meinen Füßen eine kleine Auszeit. Die Schuhe und Socken auszuziehen, die Füße etwas zu massieren, welche Wohltat. Ein älteres holländisches Paar gesellt sich zu mir. Sie haben den Stausee halb umrundet, er entfernt noch rechtzeitig ein Steinchen aus seinem Schuh.

Zillierbachtalsperre

Den weiteren Weg nach Königshütte muss ich mir zusammenschustern. Die Generalrichtung ist Süden. Ich treffe auf einen bunten Schmetterling und bewege mich zum Teil auf Wiesenwegen, die insbesondere gegen Ende fast zugewachsen sind. Viele Wege sind in keinem guten Zustand, Markierungen fehlen weil Bäume umgestürzt bzw. abgestorben sind. Der Grund ist der fehlende Nachwuchs in den Wandervereinen.

Schönbär

Es geht großräumig um ein Kalkwerk herum. Ich kann in meiner kurzen Hose zum Teil hüfthohen Disteln und Brennnesseln einigermaßen ausweichen. Auf einer unverhofften Bank – ich muss mal ein Loblied auf Bänke am Wegesrand singen – brauche ich meine letzten Trinkwasservorräte auf. Ich komme nun zu dem Wasserfall von Königshütte, den ich aber nicht sehe. Der eigentliche Ort liegt noch etwas weiter südlich und ich erreiche rund neun Stunden nach Aufbruch mein Ziel, die sehr familiär geführte Pension Am Felsen, wo ich sofort herzlich mit Namen begrüßt werde und zu Abend eine vom Hausherren zubereitete, exzellente Rinderroulade mit Kartoffelstampf und Rotkohl zu mir nehmen darf.

Vorher sehr erfrischend nach dem langen Wandertag übrigens die kälteste kalte Dusche auf der ganzen, rundum gelungenen Wanderung. Ein perfekter Abschluss.

2 Antworten to “Harzreise 22.6.24, 8. Tag Ilsenburg – Königshütte”

  1. zartgewebt Says:

    Da ist die aber wirklich ein „schöner Bär“ begegnet, auf deiner Wanderung, und ja, ALLES IST EINS!

    😉

  2. ohrenschmaus Says:

    Danke. Tolles Stück, das so schön in der Schwebe bleibt. Der Titel passt!

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