Harzreise, 16.6.24, 2. Tag Northeim – Katlenburg – Osterode

Füße schwer wie Blei
Abstecher in die Kindheit
Gips unter dem Fuß

Morgens suche ich als erstes meine Brille. Sie taucht später unter den Sachen wieder auf. Das Frühstück nehme ich mit einem dänischen Paar ein, das auf dem Rückweg ist. In der Fußgängerzone bin ich alleine und sehe verschiedene Skulpuren u. a. von Momo aus dem Buch von Michael Ende, das ich als Jugendlicher von Tante H. geschenkt bekommen hatte, aber aus Arroganz nie gelesen habe. Das sollte ich eventuell mal korrigieren.

Northeim, Momo und Kassiopeia auf dem Weg zu Meister Hora (Michael Ende)

Ich verlasse nun Northeim, komme am Friedhof vorbei, wo im östlichen Teil mit den frischen Gräbern eine größere Anzahl von Muslimen an einem Grab steht, keine einzige Frau dabei. Der Imam in seiner weißen Tracht kommt auch gerade. Heute ist das Opferfest.

Mir sind heute am zweiten Tag die Beine klumpenschwer, ich habe das Gefühl, nicht voranzukommen. Auf dem Leine-Ruhme-Radweg geht es unweit letzterer meist auf Asphalt gen Osten. Vereinzelt treffe ich auf Sonntagsradfahrer, an einer Stelle geht es auf einem Schotterweg etwas bergauf und dann wieder bergab, ansonsten ist die heutige Etappe mehr oder weniger flach. Hinter Elvershausen wende ich mich nach rechts auf die Straße nach Katlenburg, dessen oberen, auf einer Anhöhe liegenden Teil man in der Ferne sieht. Ich komme an der Fruchtweinkellerei vorbei, wo es nach vergorenem Obstsaft riecht. Das Stammhaus wurde von einem Dr. Demuth 1853 erbaut.

Nun komme ich zum ehemaligen Stillehof, wo wir in meiner Kindheit häufig bei meiner Großmutter, von uns Omi Katlenburg genannt zu Gast waren. Die andere Omi, die Mutter meines Vaters, hieß Omi Einbeck, das nicht weit entfernt ist. Omi K. wohnte in einem, inzwischen abgerissenen Gebäudeteil zwischen der heute mit PV zugepflasterten Scheune und dem Wohngebäude von Bauer Stille. Da wo der weiße Kleinbus auf dem Bild steht. Ich klingele, leider ist niemand zuhause. Marlene Herwig, die Enkelin(?) von August Stille, den ich noch kannte, betreibt nun mit ihrem Mann eine Walnussveredelung hier.

Katlenburg, Klosterhof (früher Stille-Hof)

Ich gehe nun die Treppenstufe hoch zur „Burg“, was mir mit meinen schweren Beinen schwer fällt. Ich erinnere mich nicht, hier jemals zu Fuß hochgegangen zu sein, oft war ich nicht hier oben, wahrscheinlich immer mit dem Auto. Oben ist die St. Johanneskirche, wo meine Eltern im kalten Dezember 1962 sich haben trauen lassen.

Katlenburg, St Johanneskirche auf der „Burg“

Im Gebäude neben der Kirche ist die Bücherburg, wo nicht mehr gebrauchte Bücher ihre hoffentlich nur vorübergehende Heimat finden. Ich finde dort in dem recht gut geordneten Second Hand Bücherreich doch tatsächlich einen Bildband über den Harz, obwohl mir Martin Weskott, wie ich gerade übers Internet erfahre, seit 1979 Pfarrer der Gemeinde, sagte, dass Bücher über die Gegend immer sofort weggingen. Eine tolle Bücheraktion, die ihm sogar das Bundesverdienstkreuz eingebracht hat.

Katlenburg, Bücherburg

Ich verlasse Katlenburg auf der Bundesstraße 241 nach Osterode über die Brücke über die Rhume, die hier ganz flott dahinfließt, aber natürlich viel schmaler ist, als ich sie in meiner kindlichen Erinnerung habe.

Katlenburg, Rhume

Ich sehe bald im Osten in der Ferne einen mit Nadelbäumen bestandenen Berg, der Brocken war es wohl noch nicht, in jedem Fall ist der Harz nicht mehr weit. Die Bundesstraße verlasse ich in Berka und komme bald wieder auf den Radweg.

Baumsterben

Hier zieht es sich nun, ich lutsche Lakritzbonbons und komme durch das scheinbar endlose Straßendorf Droste. Im heimeligen, kopfsteingepflasterten Uehrde, das in der Gipskarstlandschaft liegt, hat jemand das Dorf zu einem Drink zu sich eingeladen. Die Gaststätte ist dementsprechend zu. Die letzten paar km schaffe ich jetzt auch noch. Am Straßenrand eine Bank und dahinter eine Rehherde. Plötzlich setzt sich der „Leitbock“ in Bewegung und die ganze Herde folgt ihm. Am Ende steht noch ein einsames Reh an der Stelle, das entweder den Anschluss verloren hat oder ganz froh ist, allein auf dem Magerrasen zu äsen.

Bei Uehrde, Rehherde

Das letzte Stück gehe ich durch ein Wäldchen die Gipskante steil hinab nach Osterode. Dort begebe ich mich auf dem schnellsten Weg in mein Dreisternehotel und erhole mich mit 0,2l Cola aus der Minibar, einer Dusche und der 2. Halbzeit Niederlande Polen, das so ausgeht, wie von mir getippt. Später gehe ich noch einmal durch den am Sonntagabend doch recht verlassenen Ort, esse beim Griechen – er heißt wirklich so – und bestaune in der Fußgängerzone noch eine Skulptur, die einen Eseltreiber zeigt, der Korn (das Getränk!) für die Bergleute in den Harz transportiert.

Osterode, Markt mit Aegidienkirche
Osterode, Eseltreiber

2 Antworten to “Harzreise, 16.6.24, 2. Tag Northeim – Katlenburg – Osterode”

  1. zartgewebt Says:

    Da kamen sicher viele Kindheitserinnerungen hoch, als du bei deinen Omis „vorbeischautest“.
    Der Bücherturm ist klasse. Würde mir auch gefallen, wenn’s einen hier in der Nähe gäbe. Ich mag in alten Büchern schmökern u.v.m.
    Lakritzebonbons gelutscht!? War da nicht mal was …*schmunzel*

  2. ohrenschmaus Says:

    Ja wegen Lakritz, ich hatte da noch einen Restposten… 😁

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